Haus des Glücks
vor Freude geröteten Wangen. Er trug ein Hemd, und unter dem Lava-Lava schauten Beine hervor, die fast so braun waren wie die von Taisis Söhnen.
»Ja, das habe ich.«
»Sie kann bestimmt bald mit uns schwimmen gehen«, stellte er fest.
Doch Alexander schüttelte den blonden Kopf.
»Nee, das dauert noch. Die ist doch immer noch ein Baby! Um schwimmen zu können, muss man mindestens …«
»Etwas älter sein«, sagte Victoria und strich jedem ihrer Kinder über den Kopf. Jedes von ihnen erinnerte sie auf seine Weise an John. Meistens freute sie sich darüber, dass auf diese Art ein Teil von ihm bei ihr geblieben war. Manchmal tat es aber auch weh.
»Sie sind schon wieder zurück?« Friedrich richtete sich in seinem Sessel auf. Das drahtige graue Haar stand wieder einmal nach allen Seiten von seinem Kopf ab. Er rieb sich das Gesicht und lächelte schief. »Ich muss wohl ein wenig eingenickt sein.«
Victoria betrachtete ihn eingehend. In seiner Jugend musste der Doktor ein gutaussehender Mann gewesen sein. Trotz seines Alters war er auch jetzt immer noch ansehnlich. Sie fragte sich oft, weshalb er nie geheiratet hatte. War es nur die Furcht davor, das Los der fortschreitenden Erblindung an seine Nachkommen weiterzugeben?
»Wie spät ist es?« Er zog seine Uhr aus der Tasche und warf einen Blick darauf. Victoria wusste, dass es nichts anderes war als eine Geste der Gewohnheit.
»Es ist fast ein Uhr.«
»Schon?«
»Ich war noch am Strand. Die Kinder haben hoffentlich keinen Ärger gemacht?«
»Wo denken Sie hin!« Es klang fast empört. »Das können die doch gar nicht!« Ein zärtliches Lächeln huschte über sein faltiges Gesicht. Friedrich wäre gewiss ein ausgezeichneter Großvater geworden. »Wilhelm Solf war kurz hier.«
Victoria spürte, dass ihre Wangen zu brennen begannen. »Wollte er etwas Bestimmtes?«
»Erwähnt hat er nichts.« Friedrich grinste. »Er hatte es auch recht eilig, als ich ihm gesagt habe, dass Sie heute Ihren freien Tag haben und zum Einkaufen zu Petersen gegangen sind.«
Victoria beschloss, nicht auf diese Anspielung zu achten. »Ich werde das Mittagessen vorbereiten«, sagte sie stattdessen und erhob sich aus der Hocke. »Kann ich Johanna noch eine Weile bei Ihnen lassen?«
»Selbstverständlich. Geben Sie die Prinzessin nur her.« Sie hob das Mädchen hoch und setzte es ihm auf den Schoß. »So meine Kleine, ich werde dir jetzt ein Märchen erzählen. Warte mal. Wie wäre es mit dem Froschkönig?«
»Nein!«, rief Konstantin und kniete sich Friedrich vor die Füße. »Ich will lieber …«
»Konstantin, das heißt
›ich möchte bitte‹
!«, rief Victoria über die Schulter.
»Ich möchte bitte die Geschichte hören, wie die Schweine nach Samoa kamen.«
»Ist die nicht ein bisschen gruselig?«, erkundigte sich Friedrich.
Konstantin nickte eifrig.
»Da frisst der hungrige Häuptling die Kinder!«, erklärte Alexander. »Bis endlich ein Kobold …«
»Eindeutig zu gruselig für eure Schwester«, entschied Friedrich. Die beiden Jungs maulten, aber nur ein bisschen. »Bevor ich es vergesse, Sie haben Post, Victoria! Sie liegt in der Praxis auf dem Schreibtisch. Und nun zum Froschkönig. Es war einmal …«
Sie ging in das Untersuchungszimmer. Auf dem Tisch lag ein in braunes Papier gewickeltes Päckchen, auf dem ihr Name stand. Victoria erkannte die Handschrift ihrer Schwester. Sie setzte sich und trennte die Schnüre sorgfältig auf. Dann schlug sie behutsam das Packpapier auseinander. In dem Paket lag ein Brief. Und ein Stethoskop. Sie schloss die Augen. Unter allen Stethoskopen dieser Welt hätte sie es erkannt, es war Vaters Stethoskop! Ihr Puls beschleunigte sich, ihr wurde übel. Mit zitternden Händen öffnete sie den Brief. Er trug das Datum vom 30 . Oktober des vergangenen Jahres.
»Liebste Victoria!
So lange haben wir nichts voneinander gehört wegen der Blockade, dem Krieg und dem ganzen Unsinn, und jetzt muß ich Dir gleich in meinem ersten Brief eine traurige Nachricht überbringen: Unser geliebter Vater ist nicht mehr. Für uns alle kam es unerwartet, und der Schock steckt uns immer noch in den Gliedern. Gottlob, er mußte nicht leiden.
Es geschah am vergangenen Donnerstag. Er kam früher aus der Praxis nach Hause als gewöhnlich. Er sagte zu Mutter, daß er etwas müde sei und sich bis zum Essen hinlegen wolle. Als sie später ins Schlafzimmer kam, um ihn zum Abendessen zu wecken, war er tot. Er ist im Schlaf gestorben, ganz friedlich, ohne
Weitere Kostenlose Bücher