Haus des Glücks
sich nervös das Haar aus dem Gesicht. Na toll. Nicht genug damit, dass sie dieses Treffen allein bestreiten musste, weil Marco von den Medikamenten benebelt in seinem Bett lag, jetzt saß sie hier auch noch auf unbestimmte Zeit herum, wie bestellt und nicht abgeholt.
Der Kellner kam mit einem Tablett zurück, drehte in einer geschickten Bewegung das Wasserglas um und schenkte ein.
»Bitte.«
»Danke.«
Sie trank einen Schluck und sah sich um. An den Nebentischen saßen nicht nur Touristen, sondern auch Geschäftsleute in Anzügen. Viele von ihnen sprachen samoanisch, sie hörte aber auch englische, französische und niederländische Sprachfetzen. Von allen Gästen war sie die Einzige, die allein am Tisch saß. Sie holte ihr Handy hervor. Sollte sie jemanden anrufen, um zu beweisen, dass sie nicht so einsam war, wie es den Anschein hatte? Aber zu Hause in Hamburg war jetzt Mitternacht. Oma Lotte würde vor Schreck einen Herzinfarkt bekommen, wenn sie sie um diese Zeit aus dem Bett klingelte. Die Kinder schliefen natürlich, ihre Schwester, ihre Mutter und alle Freundinnen ebenso, und in diesem Teil der Welt kannte sie niemanden, mit Ausnahme der freundlichen Dame an der Rezeption und … des Tauchlehrers.
Die Visitenkarte und die Handynummer fielen ihr ein. Marco würde kaum in der Lage sein, an diesem Nachmittag irgendetwas zu unternehmen. In einer halbwegs wachen Phase hatte er sie um Wasser, Salzkräcker und das Verständnis gebeten, dass er allein sein und schlafen wolle.
Sie drehte die Karte um und betrachtete die Zahlen. Sollte sie heute zum Schnorcheln fahren? Der Gedanke, ihren kranken Mann im Hotelzimmer liegen zu lassen, während sie selbst sich amüsierte, verursachte ihr ein schlechtes Gewissen. Andererseits hatte Marco ihr ausdrücklich gesagt, dass er den ganzen Tag keine Gesellschaft brauche. Was sollte sie also stattdessen in der Zwischenzeit tun? Ihre kostbare Zeit am Pool vertrödeln, was sie ebenso gut in Hamburg im Hallenbad um die Ecke hätte machen können? Sie machte Urlaub in der Südsee, vielleicht zum einzigen Mal in ihrem Leben. Es waren nur acht Tage, aber das wollte sie auch an anderen Dingen merken als nur an der Dauer des Fluges.
Kurz entschlossen tippte sie die Nummer des Tauchlehrers in ihr Handy. David.
Es tutete. Zweimal, dreimal, viermal.
Wenn nur die Mailbox an ist, lege ich auf,
sagte sie sich.
Das wäre ein Zeichen, dass ich es mit dem Ausflug lieber lassen sollte.
»Ja?« Das kurze, halb genuschelte Wort ließ keine Stimmenidentifikation zu. Wieso konnten sich die Leute am Handy nicht mit ihrem Namen melden?
»David?«
»Hm?«
War das eine Zustimmung? Im Hintergrund dröhnte ein Motor.
»Hier ist Julia. Ich wollte nur …«
»Oh, hallo. Wie geht’s?«
»Danke. Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich an dem Schnorchelausflug heute gerne teilnehmen würde – sofern das noch möglich ist.«
»Geht klar. Wir treffen uns …« Er stieß einen Fluch aus. Sie hörte lautes Hupen und das Quietschen einer Bremse. »Entschuldige, da war plötzlich ein Schwein auf der Straße.«
»Ein Schwein? Du machst Scherze, oder?«
Er lachte. »Nein. Auf der Insel laufen eine ganze Menge Schweine frei herum. Viele Samoaner halten sich welche, und die Viecher sind nicht dumm. Sie schaffen es immer wieder, auszureißen. Also noch mal. Wir treffen uns um halb vier im
Coconuts Beach Club
an der Rezeption.«
»Soll ich etwas mitbringen?«
»Nur deine Badesachen. Alles andere besorgen wir.«
»Okay. Wie lange werden wir unterwegs sein?«
»Hm.« Einen Augenblick hörte sie nur den Motor und ein fürchterlich schepperndes Geräusch, das entfernt an eine Gangschaltung erinnerte. »Das Schnorcheln dauert etwa eineinhalb Stunden. Danach ist Sonnenuntergang. Von der Bucht aus hat man einen sagenhaften Blick auf das Meer. Und dann wollen wir noch grillen. Wie spät mag es werden. Neun? Zehn? So in etwa. Zum Abendessen brauchst du dich jedenfalls nicht zu verabreden.«
»Das wollte ich nur wissen. Bis nachher.«
»Bis später. Ich freue mich, Julia.«
Das Gespräch war beendet und ihr Herzschlag verlangsamte sich. Doch sobald sie an die blauen Augen des Tauchlehrers und seine angenehme Stimme dachte, beschleunigte sich ihr Puls wieder.
Vorsicht Julia, du gehst nur schnorcheln. Denk dran, du bist verheiratet.
Wieder saß sie unschlüssig herum und wartete. Es wurde Viertel nach zwölf. Jedes Mal, wenn sich die Tür des Restaurants öffnete, dachte sie, diesmal wäre es ihr
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