Haus des Glücks
besser. Wie war dein Treffen?«
»Toll. Victor ist ein netter Mensch, und das Essen war wunderbar. Er hat uns zu sich nach Hause eingeladen. Wir sollen seine Familie kennenlernen. Sein Vater kann mir viel über Victoria erzählen. Er hat sie selbst gekannt. Und er hat mir ein weiteres Tagebuch von ihr geliehen.«
»Das ist toll«, Marco blinzelte schläfrig.
Sie sah auf sein bleiches Gesicht hinab. »Danke, Marco.«
Überrascht öffnete er die Augen. »Wofür?«
»Dafür, dass du mit mir bis an das Ende der Welt gereist bist. Trotz allem.«
»Keine Ursache.«
»Hast du schon etwas gegessen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe nur Durst.«
»Die Flasche ist beinahe leer. Ich besorge dir eine neue.«
»Das wäre nett. Was hast du heute Nachmittag vor?«
Julia zuckte mit den Schultern.
»Geh ruhig zu diesem Schnorchelausflug«, sagte Marco und streichelte ihr kurz über die Hand. »Es macht dir doch Spaß. Und ich bin zurzeit keine besonders unterhaltsame Gesellschaft.«
»Meinst du wirklich? Ist das dein Ernst?«
Er nickte. »Ich will schlafen, mich so wenig bewegen wie möglich und hoffen, dass dieser Tag bald vorbei ist und es mir morgen früh bessergeht. Dabei kannst du mir nicht helfen. Wir haben nur die paar Tage. Da sollte wenigstens einer von uns jede Stunde auskosten.«
»Na gut, wenn du meinst.«
»Das meine ich. Aber Julia?«
»Ja?«
»Pass auf dich auf.«
Sie nickte und ging ins Bad, um sich umzuziehen. Danach warf sie einen Blick auf die Uhr. Es war erst kurz vor drei. Sie hatte also noch ein bisschen Zeit, in Victorias Tagebuch zu lesen. Sie schlug die erste Seite auf.
Tanugamanono, 3 . April 1918
Es ist endlich soweit – der Krieg ist zu Ende, Deutschland hat kapituliert. Auf dem Rathaus von Apia weht die Flagge Neuseelands einträchtig neben dem Union Jack und dem Sternenbanner. Auf den Straßen gibt es Festmärsche, es werden Lieder gesungen. Daß nicht alle Einwohner von Apia mitsingen, scheint niemanden in dem allgemeinen Siegestaumel zu stören.
Sieg. Was wurde gewonnen? Was hat dieser Krieg verändert, außer daß er Hunderttausenden das Leben genommen hat? Was hat er bewirkt, außer Not, Leid und Wunden, die auch in vielen Jahren nicht heilen werden? Was hat er hinterlassen außer verbrannter Erde, Witwen und Waisen?
Apia sieht aus, als sei nichts geschehen. Nur deutsche Produkte sucht man in den Auslagen der Geschäfte vergeblich. Alles, was an Deutschland oder den Kaiser erinnert, wurde von der Insel verbannt. Wir, die Deutschen, werden geduldet – man braucht unser Wissen, unsere Plantagen, unsere Handelsbeziehungen. Aber willkommen sind wir nicht. Doch wir haben keinen Grund zu klagen. Wir leben. Wir sind alle gesund. Alexander wird bald Vater. Konstantin hat seine Studienpläne vorerst zurückgestellt und arbeitet in einem Kontor als Übersetzer. Johanna bereitet sich auf die Abiturprüfung vor. Weitere Zukunftspläne hat sie noch nicht. Simaika und Semo unterrichte ich vorläufig zu Hause. Ihre Schule ist vorübergehend geschlossen, was mich mit Sorge erfüllt. Vielleicht hat es wirklich mit der Renovierungsbedürftigkeit des Schulgebäudes zu tun, wie der Militärbefehlshaber behauptet. Taisi hingegen befürchtet, daß die Neuseeländer den Einheimischen die Schulbildung verweigern wollen. Er traut den neuen Herren auf Samoa nicht. Und so manche Begebenheit im alltäglichen Leben in Apia scheint ihm recht zu geben. Sollten sich seine Ahnungen bestätigen, stehen uns unruhige Zeiten bevor. Denn die Samoaner werden eine Unterdrückung nicht dulden. Sie werden nicht zu den Waffen greifen – das ist nicht ihre Art. Aber sie werden sich zur Wehr setzen. Dann braucht es einen Mann vom Schlage eines Wilhelm Solf, um der Lage Herr zu werden. Und so einen sucht man zurzeit auf unserer Insel vergeblich.
Als Julia etwas später an die Rezeption kam, warteten dort bereits ein halbes Dutzend Personen – ein japanisches Pärchen, zwei strohblonde Schwedinnen, ein Holländer und eine Kanadierin, keiner älter als fünfundzwanzig. Sie hatte den Eindruck, selbst uralt zu sein, als sie die jungen Leute sah.
»Guten Tag«, sagte sie und kam sich unbeholfen vor. Eine Europäerin in ihrem Alter, die sich anschickte, an einem Tauchausflug in der Südsee teilzunehmen, sollte eigentlich weltgewandter und selbstbewusster auftreten. »Wollt ihr auch zum Schnorcheln fahren?«
Alle nickten und schwiegen betreten. Nur die Schwedinnen unterhielten sich leise. Sie mussten
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