Haus des Glücks
worden, um zu schützen, sondern um zu töten und zu zerstören. So wie man mit einer Schere nur trennen, nicht aber zusammenfügen kann. Das ist der Sinn und Zweck ihres Daseins. Und selbst diesen Zweck erfüllen sie nicht von sich aus. Es ist der Geist der Menschen, der sie ersonnen hat. Und es ist die Hand der Menschen, es sind die Hände der Matrosen, Offiziere und Generäle an Bord, aber auch der Heerführer, der Kriegsminister und der Politiker in ihren Büros und Einsatzzentralen, die sie lenken und die Kanonen bedienen. Ohne sie wären die Kriegsschiffe mit ihren furchtbaren Waffen nichts als ein Haufen von leblosem, häßlich anzusehendem Stahl. Der Mensch wird sich selbst zur Bestie. Das macht mir Angst.
Tanugamanono, 26 . Mai 1915
Wir haben immer mehr Verwundete und auch Tote zu beklagen. Seit einer Woche helfe ich im Krankenhaus aus. Ich wechsele die Verbände, assistiere bei den Operationen. Seitdem wache ich auch jede Nacht, von Alpträumen geplagt, auf, in denen ich zwischen blutüberströmten, am Boden liegenden Leichen und Verletzten nach abgerissenen Gliedmaßen suchen muß.
Die Geschichte wiederholt sich. Vielleicht sind wir dazu verdammt, weil wir nicht lernen können oder wollen. Weil wir nicht begreifen, daß Gottes wunderbare Schöpfung uns allen gemeinsam gehört, daß wir alle – ganz gleich ob Amerikaner, Deutscher, Brite oder Samoaner – seine geliebten Kinder sind. Und weil wir nicht verstehen wollen, daß ein Leben kostbar ist, daß es so leicht vernichtet, aber schwer zu erschaffen und zu erhalten ist.
Bei Kriegsbeginn waren die Gottesdienste und Messen in Apia überfüllt. Die Menschen hatten plötzlich ihre Zuflucht in Gott gesucht und um ein Wunder, um Frieden gebetet. Doch im Laufe der Monate hat ihre Zahl wieder abgenommen. Der Krieg ist zur Routine geworden, die Schreckensmeldungen aus Europa über Tausende von Toten klingen hier wie Gruselgeschichten. Apia wurde bisher nicht direkt angegriffen. Und die wenigsten sehen die verletzten, verstümmelten jungen Männer, die von den Schiffswracks täglich ins Krankenhaus gebracht werden.
Manchmal, wenn ich beim Gottesdienst in meiner Bank sitze, versuche ich mir vorzustellen, was Gott über die Menschheit denken mag. So lange hat er uns auf Samoa Frieden gewährt – fünfzehn Jahre lang. Jahre, in denen das Leben gediehen war. Der Handel war erblüht, die Einwohnerzahl gewachsen. Krankenhaus, Schulen, Kirchen, Hotels, Gasthäuser und zahlreiche Geschäfte, die keine Wünsche offenließen. Es hat uns an nichts gefehlt. Samoaner, Deutsche und andere Europäer sind gut miteinander ausgekommen. Wenn man von den gelegentlichen Tropenstürmen oder dem Matavanu absieht, der über sechs Jahre hinweg Rauch und Feuer gespuckt hat, ist Samoa wahrlich ein Stück vom Garten Eden. Die Kinder sind in diesen Jahren groß geworden. Alexander möchte bald heiraten. Seine Wahl ist auf die Tochter einer von Taisis zahlreichen Cousinen gefallen, eine reizende junge Frau. Konstantin plant zu studieren. Johanna besucht ein Gymnasium für Mädchen und wird eines Tages Abitur machen. Ihr steht sogar der Weg zur Universität offen, und ich bin stolz auf sie. Auch die Zwillinge sind groß geworden, zwei kluge, aufgeweckte Neunjährige, die sich sowohl in der Welt ihres Vaters als auch in der Welt ihrer Mutter zu Hause fühlen.
Und hat in dieser ganzen Zeit, in diesen fünfzehn Jahren, irgendwer – ich selbst eingeschlossen – je einen Gedanken daran verschwendet, Gott für den Frieden, das Wachstum und das Gedeihen zu danken? Offenbar ändert sich das erst, wenn es zu spät ist. Der Mensch scheint die Katastrophe, die Not, die Angst zu brauchen, um sich daran zu erinnern, daß es einen Vater gibt, der sorgt. Und wenn er wieder gesorgt und die Wogen geglättet hat, bequemt man sich zu einigen Dankesgottesdiensten, wenn es ganz schlimm ist, baut man eine Kirche, und vergißt anschließend, daß es keine Selbstverständlichkeit auf dieser Welt gibt. Bis zur nächsten Katastrophe, zum nächsten Unglück. Wie kümmerlich!
Tanugamanono, 14 . Juli 1915
Deutschland macht mobil. Noch suchen sie nur Freiwillige. Trotzdem habe ich Angst um meine Söhne. Müssen Alexander und Konstantin sich zum Militär melden? Als ich dieses Thema gestern vorsichtig angeschnitten habe, habe ich nur verständnislose Blicke geerntet. Krieg? Gewiß, es gebe einen Krieg in Frankreich, Belgien und Deutschland. Aber es seien doch die Deutschen, die Briten und
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