Haus des Glücks
schließlich innerhalb kürzester Zeit meinen Tauchlehrerschein gemacht. Ich hatte plötzlich das Gefühl, endlich den Weg nach Hause gefunden zu haben. Und ich konnte gar nicht schnell genug dort ankommen. Dann habe ich Job und Wohnung gekündigt, mein Geld zusammengekratzt, das Nötigste zusammengepackt und den nächsten Flug genommen, der von Edinburgh aus in eines der Tauchparadiese dieser Welt ging. Es war die Maschine nach Auckland. Dort habe ich Steve kennengelernt. Es hat keine zwei Stunden gedauert, und wir haben festgestellt, dass wir beide auf derselben Wellenlänge funken. Uns wurde schnell klar, dass wir gemeinsam eine Tauchschule eröffnen wollen. Eine Schule, die mehr vermittelt als nur die Technik des Tauchens. Als wir genügend Geld zusammenhatten, sind wir wieder zum Flughafen gefahren und haben die erste Maschine genommen, die Neuseeland verließ. Sie flog nach Apia.«
»Also hat dich der Zufall hierhergeführt?«
Er schüttelte langsam den Kopf. »Ich glaube nicht an Zufälle«, sagte er mit einem Lächeln. »Aber an Gott.«
Als Julia im Hotel ankam, war es mitten in der Nacht. Die Beleuchtung der Poolanlage warf ein schwaches Licht durch die Vorhänge. Die Klimaanlage summte leise. Marco lag rücklings mit offenem Mund im Bett und schnarchte. Sie betrachtete ihn. Er sah müde aus, blass, aber schon deutlich besser als noch vor einigen Stunden. Vor ihren Augen tauchte David auf, und ohne dass sie sich dagegen wehren konnte, verglich sie die beiden miteinander. Marcos Wangen wirkten etwas schlaff, wie auch der Rest seines Körpers. Kein Wunder, er arbeitete in einer Bank, saß den ganzen Tag am Schreibtisch, trieb keinen Sport. Er war keineswegs dick, nicht einmal leicht übergewichtig, aber eben alles andere als durchtrainiert. Ihr war vorher nie klar gewesen, wie attraktiv sie es fand, wenn sich bei einem Mann die Muskeln unter der Haut abzeichneten. Bei Marco musste sie da schon genau hingucken. Bei David war es egal, ob er schwamm, kaute oder einfach nur die Bierflasche in der Hand hielt – jeder Muskel und jede Sehne zeichnete sich deutlich ab.
Sie hatten den ganzen Abend am Strand nebeneinandergesessen, auf das dunkle Wasser und in den Sternenhimmel geschaut und dabei über Gott und die Welt gesprochen. Er hatte sie in dem alten klapprigen Jeep zum Hotel gefahren. Und selbst im Wagen hatten sie noch über eine Stunde lang geredet. Sein Lächeln ging ihr nicht aus dem Kopf.
Um Marco nicht zu wecken, zog sie sich im Dunkeln aus. Sie setzte sich auf das Bett. Auf dem Nachtschrank lag ihr Ehering. Sie hatte ihn hiergelassen, um ihn im Wasser nicht zu verlieren. Mittlerweile war sie sich nicht mehr sicher, ob das der Wahrheit entsprach oder ob sie sich von Anfang an selbst belogen hatte.
Sie nahm den Ring in die Hand und wog ihn. Dreizehn Jahre steckten in diesem kleinen Ding. So lange waren sie und Marco verheiratet. In dieser Zeit hatten sie viel Spaß gehabt, viel gelacht, sich geliebt. Sie hatten wunderschöne, unvergessliche Momente erlebt – wie die Geburt ihrer drei Kinder. Sie hatten gemeinsam gezittert, gebangt und gebetet, als Simon wegen einer schweren Lungenentzündung ins Krankenhaus musste, und sie hatten gemeinsam geweint, als Marcos Vater unerwartet an einem Herzinfarkt gestorben war. Sie hatten sich gestritten – um Urlaubsziele, neue Möbel oder die lästige Frage, wo und wie sie Weihnachten verbringen sollten. Sie hatten sich immer wieder versöhnt und Lösungen gefunden, mit denen sie beide zufrieden waren. Sie kannte Marco – seine Vorlieben, seine Abneigungen, seine Lieblingsspeisen, seine Ängste. Dennoch gelang es ihm immer aufs Neue, sie zu überraschen. Sollte sie all diese Jahre aufs Spiel setzen für ein kurzes Abenteuer mit einem Tauchlehrer? Sie würde Samoa schon bald verlassen, David niemals wiedersehen. Doch das schlechte Gewissen und die Scham würden sie begleiten, vielleicht bis an das Ende ihrer Tage. War es das wert? Wie war das mit Treue und dem fünften Gebot? Und David war ein netter Kerl. Er hatte es nicht verdient, nur eine Affäre zu sein, ein Trostpflaster, weil es in ihrer Ehe gerade kriselte. Oder war er ein Wink des Schicksals, endlich das zu tun, was sie wollte – frei von allen Zwängen ein sorgloses Leben in der Südsee zu führen? Und was würde dann aus den Kindern?
Du bist müde,
dachte sie und legte sich hin.
Müde und berauscht von der Unterwasserwelt, dem Sonnenuntergang und dem samoanischen Bier. Morgen wirst du wieder
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