Haus des Glücks
braune Haut, die dunklen Augen und das fast schwarze Haar seines Vaters. Wenn schon jüdische Professoren ihre Lehrtätigkeit aus »rassehygienischen« Gründen aufgeben müssen, obgleich sie sich doch von uns nicht unterscheiden und Deutsche sind, wie wird ein samoanischer Internist aufgenommen werden? Ich fürchte, daß er dort nicht glücklich werden wird.
Und die kleine Soonalote? Sie wird in Deutschland nicht mehr barfuß umherlaufen und den ganzen Tag in der Sonne am Strand spielen können. Wie wird sie die Umstellung verkraften? In Zukunft werde ich sie nur noch in meinen Gedanken und Briefen begleiten können. Doch selbst wenn es mir das Herz zerreißt, ich muß sie ziehen lassen. Ich habe kein Recht, sie festzuhalten.
Kinder sind wie Boote. Man baut sie, freut sich an ihnen und ist stolz, wenn sie schwimmen und nicht untergehen. Jetzt ist es soweit, und sie müssen sich auf dem Ozean beweisen. Werden sie die Stürme überstehen? Werden sie kentern? Werden sie einen sicheren Hafen erreichen, oder liegt eine Odyssee vor ihnen? Sie müssen es selbst herausfinden, denn dafür sind sie gemacht – für ihre Reise auf dem Ozean. Ich habe meinen Hafen schon vor vielen Jahren gefunden. Jetzt bleibe ich zurück und hoffe, daß sie ihren Kurs finden, denn den einen richtigen, allgemeingültigen gibt es nicht. Ich habe versucht, sie darauf vorzubereiten, ihnen alles zu geben, was sie für ihre Reise benötigen – einen stabilen Mast, ein gutes festes Segel, ein kräftiges Ruder, ausreichend Proviant. Jetzt überlasse ich sie ganz und gar den Händen unseres himmlischen Vaters.
Trotzdem tut es weh, sie loszulassen und dem Meer anzuvertrauen, in dem Wissen, wie gering die Wahrscheinlichkeit eines Wiedersehens in dieser Welt ist. Es tut so weh, daß ich am liebsten schreien würde, daß ich dem Schiff, das sie von hier fortbringt, hinterherschwimmen würde, wenn das nicht so lächerlich wäre. Denn natürlich bin ich stolz auf sie, daß sie als selbständige, freie Menschen diese Entscheidung getroffen haben, ohne zu glauben, sich für mich aufopfern zu müssen. Und ich bin auch stolz auf mich, daß ich es geschafft habe, ihnen nicht aus lauter Selbstsucht Steine in den Weg zu legen.
27
28 . September 2009
D as Taxi holte sie um halb eins am Hotel ab. Marco plauderte mit dem Fahrer über Belanglosigkeiten, während Julia aus dem Fenster sah und dabei an ihre ersten Tauchversuche dachte. Und an David. Erst zwei Stunden war es her. Das Atemgerät, das Gewicht der Gasflaschen, der Druckausgleich unter Wasser – alles hatte sie problemlos gemeistert. Schwerelos und des lästigen Auftauchens und ständigen Luftholenmüssens entbunden, war sie durch das Wasser des Hotelpools geschwebt. Neben ihr die beiden Schwedinnen, die sie vom Schnorchelausflug kannte. Und David. Seine Berührungen beim Anlegen des Atemgeräts, bei seinen Erklärungen, im Wasser, waren professionell, ungezwungen, selbstverständlich. Die beiden Schwedinnen behandelte er kaum anders. Und trotzdem hatte sie den Eindruck, dass zwischen ihm und ihr etwas war, eine ganz besondere Verbundenheit. Oder bildete sie es sich nur ein? Aber nein, sein Lächeln und seine klaren blauen Augen konnten nicht lügen. Sie gingen ihr nicht aus dem Kopf. Ihre Haut prickelte, wo seine Hand gelegen hatte. Auch jetzt noch.
Und führe mich nicht in Versuchung.
Ob Marco etwas merkte?
Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Er lachte gerade mit dem Fahrer. Hatte einer von ihnen einen Witz gemacht? Sie hatte es nicht mitbekommen.
»Ist alles in Ordnung?«, erkundigte sich Marco. »Du wirkst so abwesend. Bist du aufgeregt, deine Verwandten zu treffen?«
»Das auch. Aber ehrlich gesagt bin ich noch mit den Gedanken beim Tauchen.« Sie tröstete sich damit, dass es keine Lüge war. »Es war wundervoll. Unbeschreiblich.«
»Wenn es dir so viel Spaß macht, kannst du dich doch zu Hause nach einem Tauchkurs erkundigen.«
»Ja.« Sie sah wieder aus dem Fenster. Zu Hause. Nur noch wenige Tage auf Samoa. Nur noch wenige Tage.
Du sollst nicht ehebrechen.
Sie wollte nicht daran denken. Weder an das eine noch an das andere.
Victors Haus in Vailima am Rande von Apia war ein großer moderner Bau im Stil westlicher Bungalows mit einem prächtigen tropischen Garten. Als sie dort ankamen, parkten bereits über ein Dutzend Wagen unterschiedlichster Fabrikate auf der kiesbedeckten Auffahrt. Es war offensichtlich, dass Victor und seine Familie zu den wohlhabenden Einwohnern gehörten.
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