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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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das ist wahr«, sagte Vater leise. »Er ist tot.« Seine Hand glitt in die Hosentasche zu seiner goldenen Taschenuhr. »Dennoch kann ich deinem Wunsch nicht stattgeben«, fügte er nach einer Weile hinzu. »Wir müssen also eine andere Lösung finden.«
    »Und was soll ich stattdessen tun?«, fragte Victoria schließlich, darum bemüht, ihre Tränen zurückzuhalten. Sie war wütend und maßlos enttäuscht. »Soll ich Ihnen und Mutter zuliebe heiraten? Was für eine Ehe wäre das wohl? Oder soll ich mich über Ihre Wünsche hinwegsetzen, Hamburg verlassen und meine Ausbildung zur Krankenschwester in einer anderen Stadt beginnen? Wollen Sie das?«
    »Victoria!«, rief er aus und wandte sich zu ihr um. Sein Gesicht nahm einen strengen Ausdruck an. In diesem Augenblick ähnelte er dem Herrn Großvater. »Du wirst anmaßend!«
    »Verzeihen Sie«, sagte sie und konnte das Schluchzen kaum mehr unterdrücken. »Aber was bleibt mir übrig? Es ist
mein
Leben,
meine
Zukunft,
mein
Glück, über das hier entschieden wird!«
    Einen Augenblick sah es so aus, als wollte ihr Vater sie wütend zurechtweisen, dann drehte er sich abrupt zum Fenster um und starrte hinaus. Es wurde still im Salon, nur das Ticken der Uhr war zu hören und das Klappern der Töpfe in der Küche.
    »Ich schlage folgende Lösung vor«, begann er schließlich. »Ich werde im Marienkrankenhaus nachfragen, ob du den Schwestern zwei- oder dreimal in der Woche zur Hand gehen kannst. An den übrigen Tagen darfst du mich und Schwester Gertrud in meiner Praxis unterstützen. Das ist durchaus standesgemäß. Es entspricht zwar keiner Ausbildung, wenn du jedoch Augen und Ohren offen hältst und dich gut anstellst, wirst du auf diese Weise eine Menge lernen können. Was denkst du darüber?«
    Victoria schluckte. Das war nicht das, was sie gewollt hatte. Eigentlich hatte sie eine richtige Ausbildung absolvieren wollen. Außerdem war das Marienkrankenhaus ein katholisches Krankenhaus. Sie konnte sich nicht recht vorstellen, sich unter die dort arbeitenden Nonnen zu mischen. Vielleicht musste sie sogar mit ihnen beten. Andererseits machte ihr Vater den Eindruck, als sei dies sein einziger Vorschlag zu einer Einigung. Sie musste es als Etappe auf ihrem Weg betrachten. Gewiss würde sie von den Nonnen lernen. Das Krankenhaus war zwar noch neu, hatte jedoch bereits einen recht guten Ruf. »Gut«, sagte sie schließlich. »Ich bin einverstanden.«
    Vater nickte. »Dann ist es also abgemacht.« Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Jetzt muss ich es nur noch deiner Mutter beibringen.«
     
    Hamburg, 23 . November 1887
     
    Mein Leben scheint nur aus Kompromissen zu bestehen. Nachdem Franziska mich im Stich gelassen und sich mein Wunsch, Medizin zu studieren, vorerst zerschlagen hat – ich schreibe bewußt vorerst, denn ganz aufgegeben habe ich ihn noch nicht –, habe ich mich entschlossen, Krankenschwester zu werden. Heute habe ich Vater und Mutter davon erzählt. Daß dies Mutter erneut an den Rand der Ohnmacht treibt, damit habe ich gerechnet. Sie ist so. Alles, was von der Norm einer jungen Frau, die ihrem Haushalt als treusorgende Ehefrau und Mutter vorsteht, abweicht, findet sie einfach skandalös. Aber daß auch Vater sich derart echauffieren würde, hätte ich nicht gedacht. Ich glaube, daß ich ihn noch nie zuvor so wütend gesehen habe. Er scheint meinen Plan als persönlichen Angriff, Schmach oder Niederlage zu verstehen. Als sich die Wogen geglättet hatten und Mutter den Raum verlassen hatte, habe ich mit ihm dann doch recht vernünftig reden können. Ich möchte nicht behaupten, daß er sich überzeugen ließ. Ich darf keine Ausbildung zur Krankenschwester machen. Vorerst. Das letzte Wort ist meiner Ansicht nach darüber noch nicht gesprochen. Aber er wird im Marienkrankenhaus für mich vorsprechen, ob ich dort helfen darf. Vielleicht kann ich dann bereits im Januar dort anfangen. Und ich darf gelegentlich zu ihm in die Praxis kommen und aushelfen. Das ist gewiß nicht viel, aber ein weiterer Schritt in die richtige Richtung.
    Das Marienkrankenhaus wird von Nonnen geführt. Das wird seltsam. Ich habe noch nie mit Klosterschwestern zu tun gehabt. Doch wie Vater mir gesagt hat: Wenn ich Augen und Ohren offen halte, werde ich auch dort viel lernen können. Und wer weiß, welche Möglichkeiten sich mir durch diese Tätigkeit eröffnen werden – vorausgesetzt, ich strenge mich an und bin fleißig. Ich muß Vertrauen haben! Keine der Ärztinnen auf dieser Welt hat

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