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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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überlassen? Soweit er sich erinnerte, stand in ihrer Vereinbarung, die es Victoria erlaubte, im Marienkrankenhaus zu arbeiten, nichts von irgendwelchen Verpflichtungen oder einem Eintritt in den Orden.
    »Ich habe den Eindruck, dass Sie mich falsch verstehen, Herr Doktor. Ich bin ganz Ihrer Ansicht. Ihre Tochter gehört nicht in den Orden.«
    Auf die Erleichterung folgte der Zorn, den er bisher im Zaum gehalten hatte. »Aber … ist sie Ihnen etwa nicht gut genug?«
    Nach diesem kindischen Ausbruch verstand er, warum Schwester Innozentia lächelte, und er schämte sich dafür.
    »Keineswegs, Herr Doktor Bülau. Ihre Tochter ist bei Patienten, Ärzten und Schwestern gleichermaßen beliebt. Sie ist hilfsbereit, klug, gelehrig und geschickt, zuweilen sogar fügsam. Sie wissen vielleicht, dass Herr Doktor Kümmell bei der gelungenen Appendektomie vor zwei Wochen ausdrücklich um Victoria als assistierende Schwester gebeten hat?« Sie neigte den Kopf. »Sie hat Kenntnisse über Anatomie, die über das, was von einer Krankenschwester erwartet wird, deutlich hinausgehen, und in jeder freien Minute findet man sie beim Studium in der Bibliothek. Oder in der Kapelle. Victoria wäre eine Zierde für den Orden. Allerdings bin ich der Ansicht, dass ihre Motive falsch sind. Eigentlich würde ich Ihnen raten, Ihre Tochter auf die Universität zu schicken. Ihren Anlagen und Fähigkeiten nach sollte sie Ärztin werden.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß, dass dies nicht möglich ist. Unsere Gesellschaft ist noch nicht bereit für Akademikerinnen. Doch der unerfüllte Wunsch, Medizin zu studieren, reicht nicht aus, um durch Zweifel und Versuchungen hindurch die ewigen Gelübde bis an das Ende des Lebens zu tragen.«
    Sein Herzschlag verlangsamte sich, die Hände entkrampften sich, allmählich beruhigte sich Gotthard. »Hat sie Ihnen von ihrem Studienwunsch erzählt?«
    »Nein. Bestenfalls hat sie es angedeutet. Aber man muss sie nur beobachten, um Bescheid zu wissen.«
    »Weshalb haben Sie mich herbestellt, wenn Sie Victorias Bitte ohnehin nicht nachkommen wollen?«
    »Ihre Tochter, Herr Doktor Bülau, ist eine sehr entschlossene junge Dame mit einem starken Willen. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, verfolgt sie dieses Ziel, es sei denn, sie erkennt, dass sie den falschen Weg eingeschlagen hat. Und das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Wir müssen ihr zu verstehen geben, dass sie im Orden nicht das finden wird, was sie sich erhofft – nämlich ihr Leben in den Dienst der Medizin zu stellen.«
    »Und was schlagen Sie vor, Schwester?«
    »Ich habe Ihrer Tochter gesagt, dass eine solche Entscheidung nicht voreilig getroffen werden kann – ganz abgesehen von der erforderlichen Konvertierung zum katholischen Glauben. Ich werde mit ihr über ein Jahr lang wöchentliche Gespräche führen. Ein regelmäßiger Gedankenaustausch ebenso über allgemeine Themen wie die Inhalte des Ordenslebens, insbesondere die Aspekte von Demut und Gehorsam. Sollte dies nicht ausreichen, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen, werde ich mit ihr über ihren zukünftigen Einsatz in unserer Gemeinschaft sprechen – in der Wäscherei bei den Näherinnen.« Ein Funkeln trat in die Augen der Nonne.
    »Und ich werde versuchen, es ihr auszureden.«
    »Darf ich Ihnen einen Rat geben? Tun Sie das nicht. Es würde Victoria nur in ihrem Wunsch bestärken. Sprechen Sie mit ihr nicht über den Orden, es sei denn, sie fängt selbst davon an. Zeigen Sie ihr stattdessen das Alltagsleben – Gesellschaften, Gemeindeleben, verheiratete Paare mit kleinen Kindern. Konfrontieren Sie sie mit all dem, was sie hinter sich lassen muss, wenn sie Ordensschwester wird. Mehr können Sie nicht tun. Den Rest wird Gott entscheiden.«
    »Ich glaube, ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet«, sagte Gotthard und erhob sich.
    »Nein. Das Wohl Ihrer Tochter liegt mir am Herzen. Sie ist ein wunderbares Mädchen, das es verdient hat, seine Bestimmung zu finden. Ich werde für sie beten. Für Victoria und für Sie.«
    Schwester Innozentia begleitete ihn zur Tür. Er wollte ihr die Hand schütteln, aber sie hatte ihre Hände wieder unter den weiten Ärmeln ihrer Kutte verborgen.
    »Auf Wiedersehen, Herr Doktor Bülau. Sie können mich jederzeit ansprechen, wenn Sie etwas auf dem Herzen haben.«
    »Danke, Schwester«, sagte er und ging davon. Er eilte zum Ausgang. Zum Glück erwartete er heute Nachmittag keine Patienten mehr. Er hatte so viel zum Nachdenken, dass er sich kaum auf seine

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