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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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vor?«
    »Ich könnte zum Beispiel eine Ausbildung am Krankenhaus Sankt Georg machen. Dort würde man mich bestimmt nehmen.«
    »Nein!« Mutter schrie auf, und die Faust des Vaters donnerte auf die Armlehne nieder. »Niemals. Ich lasse mich nicht zum Gespött meiner Kollegen machen. Dort wissen alle, wer ich bin! Und dich kennen sie auch, Victoria. Weißt du, welch ein Gerede es gäbe, wenn du dort Krankenschwester wärest? Weißt du, was du uns damit antun würdest?«
    »Verzeihen Sie, Vater, es liegt nicht in meiner Absicht, Ihnen oder Mutter Ungelegenheiten zu bereiten. Aber das ist mein Wunsch. In diesem Land werden mir zu viele Steine in den Weg gelegt, um in angemessener Zeit Ärztin zu werden. Da es keine andere Möglichkeit gibt, ich jedoch der Medizin nicht den Rücken kehren möchte, halte ich eine Ausbildung in der Krankenpflege für die beste Lösung.«
    Mutter verdrehte die Augen. »Aber Kind. Krankenschwester – das werden doch nur die … die …« Offenbar fehlten ihr die Worte. »Es entspricht nicht deinem Stand, deiner Herkunft, deiner Bildung. Denk doch nur an deine Freundinnen. Sie würden dich allesamt auslachen!«
    »Na und?«, gab Victoria gleichmütig zurück und zuckte mit den Schultern. »Die Meinung von Leuten, die nur auf Klatsch und Tratsch aus sind, ist mir gleich. Und die anderen, die mir wirklich am Herzen liegen, werden mich verstehen.«
    Mutter schloss die Augen und ließ sich auf das Sofa sinken. Sie stützte den Kopf auf die Hände. »Ich weiß nicht, was wir bei dem Kind falsch gemacht haben, Gotthard«, schluchzte sie. »Warum werden wir so gestraft?«
    Er erhob sich und half seiner Frau aufzustehen. »Du solltest dich hinlegen und dich ausruhen, um den Schock zu verdauen. Ich bringe dich nach oben. Du wartest hier auf mich, Victoria. Ich bin gleich zurück.«
    Vater führte die Mutter langsam aus dem Salon. Sie wirkte alt und gebeugt, als hätte sie ein schwerer Schicksalsschlag getroffen. Victoria fand das Verhalten ihrer Eltern übertrieben und ungerecht. Man könnte meinen, sie hätte ihnen eröffnet, von nun an als Hafenhure ihr Brot verdienen zu wollen. Was war so schrecklich daran, dass sie Krankenschwester werden wollte? Es war nicht gerade üblich, dass sich eine Frau aus »gutem« Hause zum Pflegeberuf hingezogen fühlte, es sei denn, es gab ein pflegebedürftiges Familienmitglied im Haus. Aber warum nicht? Sollte sie nur, weil ihre Eltern sich damit nicht abfinden konnten, eine Ehe eingehen? Es war ihr Leben!
    Ihr Vater kehrte in den Salon zurück und schloss sorgfältig die Tür hinter sich.
    »Wie geht es Mutter?«, fragte sie höflich.
    »Sie hat sich ins Bett gelegt. Vielleicht wird sie ein bisschen schlafen.«
    Er wanderte mit langen Schritten auf und ab, schließlich blieb er vor dem Fenster stehen und sah in den unfreundlichen Garten hinaus. Die Bäume reckten ihre kahlen Äste in einen dunkelgrauen Himmel, ihr Laub lag schwer und feucht auf dem Rasen. Im Seminar lernten sie bestimmt gerade, wie man aus Kastanien und Eicheln Ketten und Tiere bastelte, um Kinder an Novembertagen sinnvoll zu beschäftigen.
    »Dir ist es wirklich ernst?«, fragte er, ohne Victoria anzusehen.
    »Ja«, sagte sie und gab ihrer Stimme einen festen Klang. »Ebenso wie mein Wunsch, Medizin zu studieren.«
    »Das habe ich mir gedacht«, murmelte er und sah weiter aus dem Fenster. »Du weißt, dass ich dich in diesem Anliegen unterstützt habe.«
    »Das weiß ich, und dafür bin ich Ihnen auch dankbar, Vater.«
    »Aber diesen Wunsch kann und will ich dir nicht erfüllen. Das geht nicht. Du würdest deiner Mutter das Herz brechen. Und was würde nur der Herr Großvater dazu sagen? Ich fürchte, du musst Abstand davon nehmen.«
    Großvater. Ihre lebhafteste Erinnerung an ihn stammte aus der Zeit, als ihr Bruder Paul geboren worden war. Er, ein stattlicher, strenger Mann mit weißem Haarkranz, Spitzbart und Monokel, hatte sich über die Wiege gebeugt und ausgerufen:
»Endlich habe ich einen Enkel!«
Victoria konnte sich noch genau an das Gefühl der Erniedrigung und der Bedeutungslosigkeit erinnern. Und obwohl ihr der Sinn erst Jahre später bewusst geworden war, schleppte sie diese Worte und das damit verbundene Schamgefühl seither mit sich herum.
    »Lassen Sie den Herrn Großvater aus dem Spiel«, wagte sie zu sagen. »Er ist tot.«
Und braucht nicht auch noch vom Grabe aus Angst und Schrecken in der Familie zu verbreiten.
Aber das traute sie sich dann doch nicht auszusprechen.
    »Ja,

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