Haus des Glücks
dich morgen nicht besuchen. Deshalb wollte ich auf dich warten.«
»Setz dich doch. Es gibt bestimmt viel zu erzählen.«
Sie nahmen beide auf dem Sofa Platz und Victoria betrachtete ihre Freundin genauer. Ihre hübsches schmales Gesicht war ein wenig rundlicher geworden, und auch die Figur wirkte nicht mehr so schlank, wie sie es in Erinnerung hatte.
Ob Franziska ein Kind erwartete?
Plötzlich spürte sie den Neid wie einen schmerzhaften Stich. »Wie gefällt dir denn das Eheleben?«
»Es ist anders, als ich es mir vorgestellt habe. Ich muss mich viel um den Haushalt kümmern, abends kommen Friedrichs Geschäftspartner zum Essen, und ich muss mich mit deren Ehefrauen unterhalten und dafür sorgen, dass sich alle bei uns wohl fühlen. Das ist zuweilen langweilig und anstrengend. Dann aber auch interessanter und abwechslungsreicher, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich habe wirklich großes Glück mit meinem Mann.« Sie lächelte nicht, als sie das sagte, strahlte aber von innen heraus. »Du hast es bestimmt bemerkt, du hast ja einen Blick für so etwas. Ich erwarte ein Kind. Im Oktober ist es so weit.«
»Herzlichen Glückwunsch.« Victoria dachte, dass ihre Freundin nie zuvor so schön ausgesehen hatte, wie in diesem Augenblick. »Da hast du bald alle Hände voll zu tun.«
»Da hast du recht.« Franziska wich ihrem Blick aus. »Und wie geht es dir? Deine Mutter hat erzählt, dass du im Krankenhaus arbeitest.«
»Arbeiten ist zu viel gesagt. Aber ich helfe den Schwestern und lerne dabei vieles über Krankenpflege und Medizin. Da sich meine Studienpläne zerschlagen haben, musste ich mir eine Alternative suchen.« Nicht ohne Genugtuung stellte sie fest, dass Franziska rot geworden war.
Wenigstens hatte sie ein schlechtes Gewissen.
»Es ist eine wunderbare Aufgabe, die mich fordert. Vor zwei Wochen durfte ich sogar bei einer Appendektomie assistieren.«
»Wie bitte?«
»Eine Appendektomie. So nennen die Chirurgen die Entfernung des entzündeten Wurmfortsatzes am Dickdarm eines Menschen. Bis vor kurzem mussten die meisten der daran erkrankten Patienten sterben. Doch jetzt, wo Doktor Kümmell als erstem Operateur in ganz Deutschland der Eingriff gelungen ist, gibt es Hoffnung. Unserem Patienten geht es gut.«
»Das freut mich.«
Das Gespräch erlahmte, und Victoria gewann den Eindruck, dass die Freundin aus einem anderen Grund hergekommen war, als sich nur nach ihrem Befinden zu erkundigen.
Schließlich seufzte Franziska tief. »Entschuldige, dass ich nicht schon viel eher gekommen bin«, sagte sie schließlich.
»Offenbar warst du sehr beschäftigt.«
»Das allein war nicht der Grund«, sie knetete ihre Hände. »Ich glaube, ich habe mich ein bisschen vor dir gefürchtet. Wir hatten doch gemeinsame Pläne geschmiedet, und dann traf ich Friedrich, verliebte mich und habe geheiratet. Ich fühlte mich als Verräterin. So fühle ich mich immer noch. Aber ich wollte endlich mit dir sprechen, bevor es zu spät ist.«
»Zu spät? Wieso zu spät?«
»Weil wir nach Amerika gehen werden.«
»Nach Amerika?«
»Genauer gesagt nach Boston. Sein Vater erweitert das Geschäft nach Übersee, und Friedrich wird in Boston eine Zweigniederlassung einrichten.«
»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, gab Victoria zu. »Soll ich dich beglückwünschen oder besser bedauern?«
»Ich weiß es selbst nicht«, sagte Franziska leise und schüttelte den Kopf. Tränen traten in ihre Augen. »Manchmal freue ich mich regelrecht darauf – auf die Reise mit dem großen Schiff über den Atlantik, die neue Stadt, die neue Sprache, die vielen neuen Menschen, die ich kennenlernen werde. Das alles ist spannend und aufregend. Aber dann habe ich auch wieder Angst. Wer weiß schon, ob ich jemals nach Hause zurückkomme?«
»Das kann ich verstehen«, sagte Victoria und griff nach der Hand der Freundin. Plötzlich war die alte Vertrautheit zwischen ihnen da, als wäre nie etwas gewesen, als hätte nie etwas zwischen ihnen gestanden. »Ich glaube, ich könnte das nicht – Hamburg oder Deutschland einfach verlassen.«
»Warst du es nicht, die in der Schweiz Medizin studieren wollte?«, neckte Franziska.
»Aber die Schweiz, das ist doch kein so großer Unterschied zu Deutschland. Außerdem wäre es kein Aufenthalt für immer. Und schließlich ist man in zwei Tagen mit der Eisenbahn aus Zürich wieder hier. Aber Amerika! So weit weg!« Sie schüttelte den Kopf. »Dabei wäre mir nicht wohl.«
Franziska seufzte. »Ehrlich gesagt
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