Haus des Glücks
übermorgen!«
»Bis übermorgen, Fräulein Bülau.«
Sie ging weiter zur Haltestelle, vergrub ihre Nase in den herrlich duftenden Veilchen und dachte darüber nach, wann sie Vater und Mutter von ihrem Entschluss in Kenntnis setzen sollte. Sie musste an all ihre vergangenen Auseinandersetzungen denken. Jedes Mal schienen ihre Eltern empfindlicher, dünnhäutiger zu werden. Wie würden sie es aufnehmen, dass sie in den Orden eintreten wollte? Bestimmt wären sie auch davon nicht begeistert. Vielleicht sollte sie das Gespräch noch um ein paar Wochen verschieben, denn so ganz sicher war sie sich schließlich selbst noch nicht.
Bald darauf kam die Dampfbahn, und sie stieg ein. Wie immer um diese Zeit am Abend waren die zweigeschossigen Wagen überfüllt, keiner der Sitzplätze war mehr frei. Es roch nach Staub, Kohlen, Bier und den Einkäufen, die die Frauen in Körben nach Hause schleppten. Victoria hätte sich auch von der Kutsche ihrer Eltern abholen lassen können, aber dann hätte sie das Krankenhaus zu einer bestimmten Uhrzeit verlassen müssen. Und da sie gern länger blieb, bevorzugte sie die Dampfbahn. Sie griff nach einer der ledernen Schlaufen, die von dem Deckengestänge herabbaumelten, und hielt sich daran fest, während sich das Gefährt mit einem Ruck in Bewegung setzte und über die Schienen glitt. Es war gewiss nicht die komfortabelste Art zu reisen. Aber immer noch besser als die Pferdebahn, die so über das Kopfsteinpflaster rumpelte, dass regelmäßig Gepäck, Einkäufe und Fahrgäste durcheinanderpurzelten. Und da viele Menschen tagtäglich die Bahn nutzten, ohne dass sie je die Wahl gehabt hätten, sich von einem Einspänner abholen zu lassen, wollte sie sich nicht zieren. Eine Nonne sollte bescheiden sein. Da hatte Frau Petersen recht.
Die Fahrt bis zur Langen Reihe war kurz. Die Dampfbahn hielt, Victoria kletterte die Leiter hinunter und atmete erleichtert auf. Nach der stickigen, verbrauchten Luft im Wagen war die Straßenluft eine Wohltat. Von hier aus war es nicht mehr weit bis nach Hause.
Sie musste warten, bis Hilde, Hausmädchen und Köchin in einer Person, auf ihr Klopfen hin endlich öffnete. »Guten Abend, Fräulein Bülau«, sagte sie und ließ Victoria eintreten. Sie trug ihre große, weiße Küchenschürze, und aus der offenen Tür kam der verführerische Duft eines Schweinebratens in die Eingangshalle.
»Ist das Abendessen schon fertig, Hilde?«
»Nein, Fräulein«, antwortete sie und nahm ihr den Hut und den Mantel ab. »Ihr Herr Vater ist noch nicht von der Sprechstunde zurück. Außerdem wartet Frau Carlsen im Salon auf Sie.«
»Frau Carlsen?«, fragte Victoria gedehnt. Sie hatte immer noch Schwierigkeiten, sich daran zu gewöhnen, dass aus
Fräulein Johannsen
eine
Frau Carlsen
geworden war. »Warum haben Sie ihr nicht gesagt, dass ich spät nach Hause komme?«
»Das habe ich, Fräulein Bülau. Aber Frau Carlsen wollte unbedingt auf Sie warten.«
Hilde verschwand in ihrer Küche, und Victoria machte sich mit gemischten Gefühlen auf den Weg in den Salon. Seit ihrer Hochzeit hatte sie die Freundin nur selten gesehen, was nur zum Teil an den zahlreichen neuen Verpflichtungen der frischgebackenen Ehefrau lag.
Franziska und ihre Mutter tranken Tee und unterhielten sich. Als sie Victoria hörten, unterbrachen sie ihr Gespräch.
Klara Bülau erhob sich, drückte Franziska kurz die Hand und kam Victoria entgegen. »Guten Abend, mein Kind.« Sie gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Es ist wieder spät geworden. Wenn du möchtest, bringt Hilde euch frischen Tee.«
»Nein. Doktor Kümmell hat mich noch gebraucht«, sagte sie leise. »Außerdem konnte ich nicht ahnen, dass sie mich ausgerechnet heute besuchen will.«
»Du solltest etwas nachsichtiger sein.« Ihre Mutter legte ihr kurz eine Hand auf den Arm, bevor sie die Tür des Salons hinter sich schloss. Victoria und Franziska waren allein.
»Guten Abend«, sagte sie und ging auf die Freundin zu. Franziska erhob sich. Unausgesprochenes schwebte fast sichtbar zwischen ihnen im Raum, und sie begrüßten sich wie zwei Fremde. »Ich hoffe, du wartest noch nicht lange auf mich.«
»Es lässt sich ertragen. Deine Mutter war so freundlich, mich zu empfangen, und Hilde hat uns Tee gebracht.«
»Sie hätten dir sagen sollen, dass ich zu unregelmäßigen Zeiten nach Hause komme. Morgen wäre ein besserer Tag für einen Besuch gewesen, da arbeite ich nicht.«
»Oh, das haben sie mir gesagt«, erwiderte Franziska. »Aber ich kann
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