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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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rudern ließen. Es gab auf dem Globus keinen Ort, den mehr Landmassen und Ozeane von Hamburg trennten. Er hatte nachgemessen. Mehrmals. Und er hatte keinen gefunden. Wann würde er erfahren, ob sie wohlauf war, ob sie sicher angekommen war, wie sie sich dort einlebte? Er hatte schreckliche Dinge über die Südsee gehört – über Kannibalen, giftige Fische, gefräßige Haie, heftige Stürme, Erdbeben und haushohe Flutwellen. Das meiste war vermutlich Seemannsgarn. Doch selbst wenn er Abstriche machte, blieb genug übrig, um sich um seine Tochter zu sorgen. Sein kleines Mädchen. John Seymour war ein netter Kerl, er liebte Victoria, und an dem Untergang seiner Schiffe traf ihn gewiss keine Schuld. Aber gelegentlich, wenn er sich nachts im Bett herumwälzte, fragte sich Gotthard, weshalb er sie nicht hatte studieren lassen. Dann wäre sie wenigstens in seiner Nähe geblieben.
    »Herr Doktor Bülau«, Schwester Gudrun öffnete die Tür und riss ihn aus seinen Gedanken. »Der erste Patient kommt heute Nachmittag erst um vier Uhr, und ich habe bereits alles für die Nachmittagssprechstunde vorbereitet. Würden Sie mir erlauben, dass ich in der Zwischenzeit ein paar Besorgungen erledige?«
    Er wandte sich um und lächelte mechanisch. »Natürlich, Schwester, gehen Sie nur. Sie haben sich die freie Zeit verdient.«
    »Danke, Herr Doktor. Ich bin rechtzeitig zurück.«
    Er drehte sich wieder zum Fenster, und das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. Eigentlich sollte dort draußen jetzt Herbst oder Winter sein. Ein kalter, nebligfeuchter Novembertag. Wie er Victoria vermisste!
    Die Türglocke bimmelte. Glücklicherweise war Schwester Gudrun noch nicht ausgegangen, er hörte ihre Schritte in der Halle. So brauchte er wenigstens nicht selbst zu öffnen und die Patienten auf den Nachmittag zu vertrösten, sondern konnte am Fenster stehen bleiben und sich ganz diesem dumpfen Schmerz hingeben.
    Ein leises Klopfen ließ ihn aufstöhnen. War es nicht möglich, einen Vater unbelästigt trauern zu lassen?
    »Verzeihen Sie, dass ich Sie abermals störe, Herr Doktor«, Schwester Gudrun stand in der Tür. In Hut und Mantel sah er sie so selten, dass er sie fast nicht erkannt hätte. »Da sind zwei Herren, die Sie sprechen möchten.«
    »Sagen Sie ihnen, dass sie sich heute Nachmittag in der Sprechstunde vorstellen sollen.«
    »Das habe ich getan, Herr Doktor«, erwiderte die Schwester. »Aber sie sagten, sie wollten Sie nicht als Arzt konsultieren. Es sei eine wichtige Angelegenheit, die keinen Aufschub dulde. Es tut mir leid«, fügte sie hinzu. »Aber es scheint bedeutsam zu sein. Die Herren sind eigens aus London angereist.«
    Er seufzte. »So schicken Sie sie in Gottes Namen herein. Es bleibt mir offenbar nichts anderes übrig, als sie zu empfangen.«
    »Soll ich warten?«
    »Nein, nein, gehen Sie nur. Machen Sie Ihre Besorgungen. Ich komme schon allein zurecht.«
    Schwester Gudrun trat einen Schritt zurück, öffnete die Tür weit und sprach in die Halle hinein. »Bitte sehr, die Herren. Sie können eintreten. Der Herr Doktor wird Sie empfangen.«
    Zwei dunkel gekleidete Männer mittleren Alters traten ein. Der exzellente Schnitt und die Qualität der Stoffe ihrer Mäntel und Anzüge verrieten Wohlstand. Sie nahmen ihre Hüte ab und verbeugten sich.
    »Mit wem habe ich die Ehre?«
    »Guten Tag, Herr Doktor Bülau, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen«, sagte der ältere der beiden. Er sprach mit einem starken, englisch klingenden Akzent. Bei dem Wort
Bülau
verzerrte sich sein Mund, als würde es ihm schwerfallen, die Laute zu artikulieren. »Ich bin Bartholomew Strange, und dies ist mein Partner Charles Clarrisbrooke, aus der Sozietät
Strange, Clarrisbrooke & Jacobs.
Wir kommen aus London im Auftrag eines Klienten.« Er reichte ihm eine Visitenkarte.
    Gotthard streifte sie mit einem flüchtigen Blick und legte sie auf den Schreibtisch. »Interessant«, sagte er, ohne es zu meinen. Er hoffte inständig, die Engländer schnell loswerden zu können. Er wollte allein sein. Einfach nur allein. »Ich wüsste zwar nicht, womit ich Ihnen behilflich sein kann, aber bitte, setzen Sie sich doch.«
    Die beiden Rechtsanwälte nahmen auf den Stühlen vor Gotthards Schreibtisch Platz, auf denen gewöhnlich die Patienten saßen, um ihm ihre Beschwerden zu schildern.
    »Wir wollen Sie nicht lange auf die Folter spannen«, fuhr Herr Strange fort. »Es geht um Ihren Sohn vor dem Gesetz. Um John Seymour.«
    »Um meinen Schwiegersohn?

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