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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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Albert Hohenstein und warf Friedrich über den Rand seines
Berliner Lokal-Anzeigers
einen scharfen Blick zu. Sie kannten sich, seit sie gemeinsam den Hamburger Hafen mit dem Ziel Südsee verlassen hatten. Das war mittlerweile zehn Jahre her. Die beiden Freunde spielten ihr übliches Spiel »Gehen oder Bleiben«. Sie schlossen bei jedem Neuankömmling eine Wette über dessen »Insel-Tauglichkeit« ab. Der Wetteinsatz bestand in einer Flasche Whisky, die derjenige erhielt, der im Laufe eines Jahres am häufigsten richtig getippt hatte. Zurzeit lag Friedrich mit neunundzwanzig zu achtzehn vorn, und es war bereits Oktober. Albert musste sich anstrengen, wenn er noch gewinnen wollte. In diesem Jahr waren nicht mehr viele Schiffe mit Neuankömmlingen zu erwarten.
    »Das ist das
Mblalolo lailai
«, fuhr er fort. »Ein harmloses fröhliches Fest zu Ehren des Palolowurms. Es gibt weder Kannibalen noch Menschenopfer auf dieser Insel.«
    Die Erleichterung war deutlich auf Ehlers’ Gesicht zu sehen, und Albert nickte Friedrich triumphierend zu.
    »Das Meer sieht so anders aus als sonst. Woher kommt dieser eigentümliche Glanz des Wassers?«
    Friedrich nahm einen Schluck von dem Rum, den Ehlers als Gastgeschenk mitgebracht hatte. Ein hervorragender Tropfen. »Das liegt am Palolowurm«, sagte er. Albert sollte nicht glauben, dass er sich so schnell geschlagen gab. »Er schwärmt aus und wandert …«
    »Das ist natürlich Unsinn, der Palolo wandert nicht«, verbesserte ihn sein Freund prompt und faltete den
Berliner Anzeiger
sorgfältig zusammen. Er war Hobby-Biologe, und alles, was mit den Tieren und Pflanzen der Inseln zusammenhing, interessierte ihn. »Die Würmer treiben an die Wasseroberfläche, um sich zu paaren.«
    Friedrich verließ sich darauf, dass sein Freund unverzüglich einen seiner gelehrten Vorträge hielt. Wenn es um Biologie ging, konnte Albert nicht anders als jede Einzelheit genau zu erklären. Und wenn ihn sein Gefühl nicht täuschte, brachten ihn die unappetitlichen Details dieses Festes und des Palolowurms seiner Flasche Whisky ein weiteres Stück näher. Er selbst konnte sich derweil entspannt in seinem Sessel zurücklehnen, auf das Meer hinausschauen, den Samoanern bei ihrem Fest zusehen und sich an dem hervorragenden Rum erfreuen.
    »Die Paarung des Palolo findet nur zweimal im Jahr statt«, fuhr Albert unterdessen fort. »Jetzt im Oktober und exakt einen Monat später. John Edward Gray hat den Wurm beschrieben und ihm seinen Namen gegeben
Palola viridis.
Der Grund für dieses seltsame Naturschauspiel ist allerdings noch nicht erforscht, aber es ist überaus faszinierend. Im November, zur
großen Palolo-Zeit,
ist das Fest noch viel ausgelassener. Dann kann man die Feuer sogar von drüben auf Savai’i sehen, und das Meer glänzt wie flüssiges Metall.«
    »Jetzt gehen sie mit Netzen ins Wasser!«
    Ehlers’ Haltung hatte sich deutlich entspannt. Auch er schien das Schauspiel zu genießen. Aber nicht mehr lange. Der Junge war zum ersten Mal in der Südsee. Alles war ihm fremd – das Wetter, die Natur, das Meer, die Eingeborenen, die Bräuche. Er war neugierig. Er stellte gewiss weitere Fragen. Und Albert würde sie beantworten, so sicher, wie ein Frosch nach einer Fliege schnappt. Friedrich sog an seiner Pfeife und blies Kringel in die laue Abendluft.
    »Warum tun sie das? Wollen sie den Wurm etwa fangen?«
    »In der Tat«, sagte Albert. »Die Eingeborenen fischen nach den Würmern. Dann werden sie gekocht, über dem Feuer gebraten oder zwischen Bananenblättern gedünstet und anschließend verspeist. Oder man isst sie roh aus der Hand.«
    »Würmer? Mein Gott! Das ist abstoßend!« Ehlers wurde wieder bleich, schenkte sich Rum nach und stürzte das Glas in einem Zug hinunter. »Warum denn das?«
    »Zur Steigerung der Potenz und der Fruchtbarkeit. Außerdem scheint der Palolo den Eingeborenen zu schmecken.«
    Ehlers verzog angewidert das Gesicht.
    »Im Grunde ist es nichts anderes als in Deutschland die Martinsgans oder Grünkohl«, warf Friedrich ein und schob die Pfeife in den Mundwinkel. »Das gibt es auch nur zu bestimmten Zeiten im Jahr.«
    »Aber Herr Doktor! Sie können doch nicht diese barbarische Unsitte mit unseren Speisen vergleichen!«
    »Warum nicht? Es schmeckt in der Tat nicht einmal schlecht.«
    »Wollen Sie etwa sagen, dass Sie selbst davon gekostet haben?«
    »Natürlich. Haben Sie in Ihrem Haus samoanische Angestellte?«
    »Selbstverständlich. Aber …«
    »Wenn die es gut mit

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