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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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Paradies. Und hier wird unser Kind geboren werden! Es wird gemeinsam mit den anderen den Strand entlanglaufen, und das Wasser wird an seinen Beinen hochspritzen.
    John, der hinter ihr stand, drückte ihre Hand. Vielleicht hatte er gerade etwas Ähnliches gedacht.
    »Es sieht nicht so schlimm aus, wie ich befürchtet habe«, sagte er leise zu ihr, während ihr die Tränen die Wange hinunterliefen.
    Sie weinte viel in letzter Zeit. Ein besonders hübscher Delphin, ein Sonnenuntergang oder eine auf dem Wasser treibende Holzplanke reichte aus, um sie zum Heulen zu bringen. Aber so etwas hatte sie noch nie gesehen – oder gehört. »Es ist wunderschön«, flüsterte sie. »Viel schöner als jeder Traum!«
    In diesem Moment wehten andere Klänge vom Land zu ihnen herüber. Am Steg stand eine Blaskapelle und spielte zur Begrüßung der
Lübeck
einen Marsch. Vertraute Musik, die in dieser exotischen Umgebung fremdartig und gleichzeitig wohltuend war. Das Schiff erwiderte den Gruß mit einem Tuten.
    »Wir sind da.« Der Kapitän trat zu ihnen und lächelte aufmunternd. Wahrscheinlich interpretierte er Victorias Tränen falsch. »Das da ist Apia. Es ist bestimmt nicht Hamburg. Aber so übel nun auch wieder nicht. Sie werden sich dort bald wohl fühlen, denke ich. Und wenn nicht, wir kommen einmal im Monat vorbei und können Sie jederzeit mitnehmen.«
    John nickte. »Danke für alles«, sagte er, und Victoria begann wieder zu schluchzen.
    »Da nicht für«, entgegnete der Kapitän und klopfte John beruhigend auf die Schulter. »Mit Ihrem Gepäck brauchen Sie sich nicht zu beeilen. Die Träger werden es aus Ihrer Kabine abholen. Den Rest bringen wir gleich morgen früh an Land. Und denken Sie daran, das hier ist keine Strafkolonie. Sie können die Insel verlassen, falls Ihre Frau sich nicht eingewöhnen kann.«
    »Danke«, wiederholte John.
    Dann wurde die
Lübeck
vertäut und der Steg ausgefahren. Victorias Blick glitt über die Blaskapelle in den hübschen weißen Uniformen hinweg zu den am Steg wartenden Menschen. Etliche Weiße waren dort, Männer in hellen Anzügen, Frauen in schönen Kleidern mit prächtig geschmückten Hüten, aber auch einige dunkelhäutige Menschen. Ein richtiges Begrüßungskomitee. Nur noch wenige Augenblicke, bis sie Samoa endgültig betrat. Ihr Herz klopfte heftig vor Aufregung, das Kind in ihrem Bauch strampelte. Seine winzigen Füßchen konnte sie jetzt deutlich spüren. Vielleicht freute es sich bereits auf den feinen weißen Sand und das warme Wasser. Sie holte tief Luft. Ihre Angst war verflogen. Natürlich warteten auch auf Samoa Schwierigkeiten auf sie. Selbst im Garten Eden hatte es die Schlange gegeben. Aber diese erste überwältigende Ahnung, dem Mittelpunkt von Gottes wunderbarer Schöpfung niemals zuvor so nahe gewesen zu sein, würde sie nie vergessen. Und sie wusste in diesem Augenblick: Was auch immer ihr hier widerfuhr, dieses Gefühl würde sie durch die kommenden Jahre hindurch begleiten.
     
    Während die meisten Bewohner von Apia wie neugierige kleine Kinder auf dem Steg nach den Neuankömmlingen und der Post Ausschau hielten, beobachteten Friedrich von Kolle und Albert Hohenstein die Begrüßungszeremonie von der Veranda des Gasthauses aus. In den vergangenen Jahren hatten sie schon zahllose Schiffe Hunderte von Zuwanderern nach Samoa bringen sehen, und beinahe ebenso viele waren wieder abgereist. Die Ankunft der
Lübeck
stellte für sie wahrhaft keine Sensation mehr dar, für die es sich lohnte, sich im Gedränge die Beine in den Bauch zu stehen. Dass sie allerdings doch in ihren Korbsesseln auf der Veranda saßen und Limonade tranken, war einer gewissen Neugierde geschuldet, der auch sie sich nicht erwehren konnten. Es war immer interessant zu erleben, welche Männer, und zuweilen auch Frauen, es diesmal in den abgelegensten Winkel dieses Erdballs verschlagen hatte. Und das kleine Gasthaus war nahe genug am Hafen gelegen, um von hier aus alles sehen zu können. Sofern einen die Augen nicht im Stich ließen. Friedrichs Sehkraft verschlechterte sich zunehmend. Auch die Brille half ihm nicht mehr. In seinem unmittelbaren Umfeld gelang es ihm noch recht gut, doch in der Ferne konnte er kaum noch etwas erkennen.
    »Diesmal sind es scheinbar nur zwei«, sagte Albert und legte seinen zerlesenen
Berliner Lokal-Anzeiger
auf den Tisch. In den vergangenen vier Wochen, seit die
Lübeck
Apia das letzte Mal angelaufen hatte, hatte er jede Zeile mehrmals studiert. Morgen würde er sich

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