Haus des Glücks
»Nein, Victoria. Ich will dein Vertrauen, nicht dein Mitleid.«
Sie schlang ihre Arme um John und schmiegte sich an ihn. »Ich vertraue dir«, sagte sie und hoffte, dass ihre Stimme fest klang. »Wer weiß, wozu es gut ist. Gottes Wege sind schwer zu durchschauen.«
»In der Tat. Und manchmal kann man sich nicht vorstellen, dass es in diesem undurchdringlichen Dickicht überhaupt so etwas wie einen Weg gibt.«
»Dennoch führen sie immer zum Ziel«, beharrte sie.
»Du meinst in die Verbannung?« Er lachte bitter.
»Wir werden uns dort einleben«, sagte sie. »Und diese ganze Angelegenheit eines Tages vergessen. Sofern ich kann, werde ich dir dabei helfen.«
John drehte sich um. Er betrachtete sie eine Weile schweigend, seine Augen schimmerten feucht. Dann strich er ihr zärtlich über die Wange. »Du bist eine wunderbare Frau, Victoria«, sagte er leise. »Ich frage mich jeden Tag, womit ich dich eigentlich verdient habe.«
»Ich bin kein Orden oder eine Siegestrophäe, die man sich erkämpft und verdient«, erwiderte sie ernst. »Ich bin deine Frau, weil ich dich liebe. Weil wir zusammengehören. In guten Tagen und in schlechten.«
»Ich fürchte, bisher sind die schlechten in der Überzahl.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, du irrst dich. Und ich weiß, dass es noch besser wird.«
14
Herbst 1891
E in lauer Wind strich durch die Palmen, die Sonne stand tief am Horizont. In einem unwirklichen Violett erhoben sich die Konturen der Nachbarinsel Savai’i vor dem purpurfarbenen Himmel, das Meer glänzte. Am Strand wurden Feuer angezündet, um die sich die Samoaner zu versammeln begannen: Männer in Röcken, mit glänzend brauner Haut und schwarzen Haaren; anmutig tanzende Frauen, die ihren Oberkörper lediglich mit üppigen Girlanden aus Blumen und Samen verhüllten, Kinder, Greise.
»Verstehen Sie, was die da tun, Herr Doktor?«
Otto Ehlers’ Stimme klang heiser. Der junge Mann saß vorgeneigt in seinem Korbsessel auf der offenen Veranda, seine Hände umklammerten die Armlehnen, sein starrer Blick war auf die Szenerie am Strand gerichtet. Schweiß perlte auf seiner Stirn. Ein Fieberkrampf?
Friedrich von Kolle sah ihn an und fragte sich, ob er sich Sorgen machen musste. Ehlers war erst vor drei Wochen auf Samoa angekommen. Viele Europäer litten in ihrer ersten Zeit in der Südsee unter Fieber, Durchfällen und Krämpfen. Schuld daran waren die Hitze, die Feuchtigkeit, die ungewohnte Nahrung. Bei den meisten verschwanden die Symptome nach Tagen, bei anderen erst nach Monaten. Einige hatten die Insel aber wieder verlassen müssen; wenn sie Glück hatten, mit dem Schiff. Die Übrigen lagen unter weißen Holzkreuzen auf dem kleinen, palmengesäumten Friedhof von Apia. Doch Ehlers hatte ihm gegenüber bei der gestrigen Untersuchung keine Klagen geäußert, weder Übelkeit noch Unwohlsein. Er schien nicht einmal an den Folgen der Hitze zu leiden. Der junge Kerl hatte eine gute Konstitution. Also lag die Vermutung nahe, dass die spärlich bekleideten Weibsbilder der Grund seines fieberhaften Zustands waren. Vielleicht gewöhnte er sich eines Tages an diesen Anblick, legte seinen albernen Tropenhelm ab und trug vernünftige Kleidung. Sofern er auf Samoa blieb, wovon Friedrich nicht überzeugt war.
In der Zwischenzeit stiegen junge Frauen und Männer unter dem Gesang und dem rhythmischen Klang der mit Holzstäben geschlagenen ausgehöhlten Palmenstämme in das silbrig glänzende Meer. Das Fest hatte seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht.
»Was geschieht denn jetzt?«, keuchte Ehlers.
»Es ist Teil des Rituals«, sagte Friedrich ernsthaft und senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Sie opfern sich.« Er rechnete damit, dass in dem Kopf seines Gegenübers die Geschichten über Kannibalen und Menschenopfer herumgeisterten, die man sich in Deutschland über die Sitten der Eingeborenen in fernen Ländern erzählte. Die Südsee hatte in dieser Hinsicht nicht gerade den besten Ruf. Sicherlich zu Recht. Aber nicht hier auf Samoa. Und schon gar nicht an diesem Abend. Aber das wusste der junge Mann natürlich nicht.
Ehlers wurde bleich, griff nach seinem Glas und leerte es in einem Zug. »Was können wir gegen diese Barbarei tun, meine Herren?«, fragte er mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen. »Das ist doch unmenschlich! Wir können doch nicht dasitzen und zusehen, wie diese jungen Menschen in ihren sicheren Tod gehen!«
»Glauben Sie nicht alles, was unser Doktor Ihnen erzählt, Herr Ehlers«, sagte
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