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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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in Acht nehmen müssen, wenn er sein Geheimnis noch länger für sich behalten wollte. »Für Geburten bin ich übrigens ebenfalls zuständig.« Täuschte er sich oder färbten sich die Wangen der jungen Frau jetzt leicht rosa? Ihr Händedruck war erstaunlich fest. Er spürte es, wenn er einem Menschen mit einem starken Charakter gegenüberstand. »Darf ich mich nach Ihrem ersten Eindruck von der Insel erkundigen?«
    »Es ist natürlich alles fremd«, sagte Herr Seymour vorsichtig. »Aber der Empfang war freundlich, und auch sonst scheint Samoa auf den ersten Blick ganz annehmlich zu sein.«
    »Und Ihr erster Eindruck, gnädige Frau?«
    »Schönheit«, erwiderte sie, und ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen. Die Scheu, die Frauen üblicherweise in der Gegenwart von Ärzten zeigten, ließ sie vollständig vermissen. Entweder war sie Krankenschwester oder die Tochter eines Arztes. »Obwohl ich mir sicher bin, dass sich auch hier die eine oder andere Schlange versteckt hält.«
    »Nein, nein, auf Samoa gibt es keine Schlangen«, sagte Albert. »Es gibt jedoch Aale, die recht groß werden können und während der Regenzeit, wenn alles feucht ist, aus dem Wasser kommen und durch die Wälder kriechen. Ich habe sogar einmal einen Aal auf einem Baum gesehen.« Friedrich stieß ihm mit den Ellbogen in die Rippen, der Freund brach ab und räusperte sich verlegen. »Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht mit biologischen Details langweilen.«
    »Ganz und gar nicht.«
    »Ich glaube, dass Frau Seymour es eher metaphorisch gemeint hat«, warf Friedrich ein. »Und ich kann Ihnen nur zustimmen, gnädige Frau. Hier gibt es so manche Schlange, die eine Kobra harmlos aussehen lässt.«
    Der Gouverneur hüstelte und lenkte die Aufmerksamkeit auf sich. »Ich werde Sie jetzt zu Ihrem Zimmer im Hotel begleiten. Dort können Sie sich ausruhen und etwas frisch machen. In zwei Stunden lade ich Sie zu einem kleinen Empfang mit Dinner ins Rathaus. Dort haben Sie die Gelegenheit, Bekanntschaft mit ein paar der ehrbaren Mitglieder unserer Gesellschaft zu machen. Darf ich bitten?«
    Der Gouverneur trat mit dem Ehepaar in das Hotel, und die beiden Freunde nahmen wieder in ihren Korbstühlen Platz.
    »Was sagst du jetzt?«, fragte Albert nach einer Weile.
    »Sie ist ein interessanter Mensch«, sagte Friedrich und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Ich bin schon gespannt darauf, sie näher kennenzulernen.«
    »Ich denke immer noch, dass die beiden wieder gehen werden.«
    »Ich halte dagegen.«
    Sie reichten einander kurz die Hände, um ihre Wette zu besiegeln. Dann stopfte Friedrich seine Pfeife nach.
    »Diesmal wirst du verlieren, alter Freund«, sagte Albert und zündete sich triumphierend eine Zigarre an.
    »Wir werden sehen«, erwiderte Friedrich und blies Kringel in die Luft. »Wir werden sehen.«
     
    Appetitlos schob Victoria die Speisen auf ihrem Teller herum und versuchte, den Gesprächen ihrer Tischnachbarn zu folgen. Der kleine Saal in dem Haus, das die Bewohner von Apia als »Rathaus« bezeichneten, war festlich geschmückt: Auf dem langen Tisch lag eine Tischdecke aus weißem Damast, feines Porzellan mit Goldrand und einem wunderschönen Blumenmuster, das unverkennbar aus Meißen stammte, Kristallgläser, die im Schein der Kerzen funkelten, poliertes Silberbesteck. Sie hätte ebenso bei einer Hamburger Kaufmannsfamilie zu Gast sein können. Doch der Blumenschmuck auf Tisch und Buffet verriet, dass sie nicht in Deutschland war, und durch die geöffneten Terrassentüren wehte ein warmer Abendwind, der fremdartige Gerüche und das Rauschen des Meeres in den Saal trug. Obwohl die übliche Zeit für das Abendessen bereits weit überschritten war, verspürte sie keinen Hunger. Vielleicht lag es an den vielen Eindrücken, die seit ihrer Ankunft in Apia auf sie eingestürmt waren. Oder es war eine Folge der Müdigkeit, die ihr mittlerweile regelrecht Übelkeit bereitete. Dabei war der Schweinebraten auf ihrem Teller wirklich köstlich. Das Fleisch war zart und saftig, und auch die Soße schmeckte beinahe wie zu Hause. Natürlich verwendeten sie hier etwas andere Gewürze, und auch die Kartoffeln fehlten. Stattdessen wurde Reis gereicht, der hier in der Südsee anscheinend leichter zu beschaffen war. Sie sehnte sich nach einem Bett, das nicht auf und ab schwankte. Vor allem aber sehnte sie sich danach, allein mit John an diesem weißen Strand spazieren zu gehen, den Duft des Meeres und der unbekannten Blumen einzuatmen, und der Stimme des

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