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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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endlich auf neuen Lesestoff aus Deutschland stürzen können. »Siehst du den Mann und die junge Frau, die er den Steg hinunterführt?«
    Friedrich nickte. Albert war zwar sein bester Freund hier auf der Insel, dennoch hatte er ihm bisher nichts von seinem schwindenden Sehvermögen erzählt. Er wollte diese Tatsache gern für sich behalten, solange es eben ging. Die Menschen reagierten zuweilen seltsam, wenn ihr Arzt krank wurde. Außerdem konnte er Mitleid nicht ausstehen.
    »Ein Ehepaar«, sagte er, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen.
    »Woher willst du denn das wissen?«
    »Wenn du Menschen ebenso aufmerksam beobachten würdest wie Tiere oder Pflanzen, wäre dir auch aufgefallen, dass er sie nicht wie eine Kranke den Steg hinuntergeführt hat. So wie die beiden verhalten sich nur Eheleute.«
    Albert zuckte mit den Schultern. »Und? Gehen oder Bleiben?«
    »Du zuerst.«
    »Na gut.« Albert kniff die Augen zusammen und starrte zum Steg hinüber.
    Für Friedrich bewegten sich dort lediglich ein paar bunte Schemen. Doch er selbst hatte dieser Zeremonie so oft beigewohnt, dass er wusste, wie der Gouverneur die Neuankömmlinge begrüßte und dass zwei junge Samoanerinnen mit Blumenkränzen im Haar ihnen eine Blumengirlande um den Hals legten.
    »Klarer Fall, die beiden werden wieder verschwinden. Ich wage sogar zu behaupten, dass sie es nicht lange hier aushalten werden.«
    »Aha.«
    »Siehst du, wie er sie stützen muss und sie sich beim Anblick der Blumen fast die Augen ausweint? Die beiden werden wieder gehen.«
    Friedrich hob eine Augenbraue und blies einen Kringel in die Luft. Wie gut, dass sein Freund alles und jeden genau beschreiben musste. »Vielleicht hast du recht. Andererseits könnten ihre Tränen auch Tränen des Glücks sein, nicht wahr?«
    »Tränen des Glücks? Wie kommst du denn auf diese absurde Idee?« Albert schüttelte den Kopf. »Nein, mein Freund, ich bleibe dabei. Sie werden verschwinden. Und sie wird der ausschlaggebende Faktor sein.«
    In diesem Moment kam der Gouverneur mit den Neuankömmlingen und einem Teil des Begrüßungskomitees auf das Gasthaus zu.
    »Wir haben Ihnen für die ersten Tage ein Zimmer in unserem besten Hotel reservieren lassen, Herr und Frau Seymour«, sagte er gerade zu dem Ehepaar. »Sie können hier wohnen, bis Sie sich für ein Haus entschieden haben. Und sehen Sie nur, dort sind auch zwei weitere ehrenwerte Mitglieder unserer kleinen Gesellschaft. Darf ich vorstellen: der verehrte Herr Hohenstein – im Koprahandel tätiger Geschäftsmann und zudem ein angesehener Biologe, dessen Kenntnisse der einheimischen Fauna und Flora der Südsee ihresgleichen suchen.«
    »Nicht doch, Sie tun mir zu viel der Ehre an«, sagte Albert, erhob sich und begrüßte den Herrn und die Dame mit einer zackigen Verbeugung. »Herzlich willkommen in Apia, Herr Seymour, gnädige Frau.«
    »Und hier haben wir den Leiter unseres Krankenhauses, unseren Chefchirurgen und Internisten Herrn Doktor von Kolle.«
    Friedrich stöhnte und schüttelte den Kopf. Der Gouverneur sprach vor Neuankömmlingen gern so, als sei er der Bürgermeister einer Weltstadt, die über breite Straßen, zahlreiche Hotels, Theater und Ballsäle verfügte.
    »Inselarzt ist meines Erachtens die zutreffendere Bezeichnung«, sagte er und erhob sich. Während er Herrn Seymour die Hand gab, musterte er ihn, so gut es seine Augen zuließen. Der Mann war noch jung, höchstens Mitte zwanzig, ein gutaussehender Bursche, der eher in einen Ballsaal zu gehören schien, denn auf große Reise. Er wirkte nicht wie ein Abenteurer, obgleich sein fester Händedruck auf Entschlossenheit und Tatkraft schließen ließ. Aber die Wangen wirkten blass und eingefallen. Eine Folge der langen Schiffsreise oder eines Kummers? Vielleicht ein Erbstreit oder Zerwürfnis mit den Eltern. Seine Sorge hatte jedenfalls nichts mit seiner Ehefrau zu tun. Die Art, wie er ihren Arm hielt, verriet eine tiefe und zärtliche Liebe, die trotz mangelnder Sehkraft deutlich erkennbar war. »Ich mache hier alles, was ärztliche Kunst erfordert – angefangen vom Schnitt in den Finger über Durchfälle bis hin zu Amputationen. Willkommen auf Samoa.« Dann wandte er sich der Frau zu und reichte auch ihr die Hand. Sie trug ihr helles Haar hochgesteckt, wie es sich für eine Ehefrau gehörte, und doch hatte er den Eindruck, dass sie anders war. Ihre Haltung war aufrecht, ohne steif zu sein, und ihre blauen Augen schienen mehr zu sehen als andere. Vor ihr würde er sich

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