Haus des Schreckens
die Hand. »Pass gut darauf auf! Es ist heute Nacht eure einzige Verbindung zur Außenwelt.«
»Wieso geben Sie es mir?«, fragte Bob unsicher.
»Wieso nicht?«, antwortete Lowell ungerührt.
Mrs Parsley kam ein Stück hinter ihrem Mann hervor. »Und das mit den Geistern. Stimmt das wirklich?«, fragte sie zaghaft.
Lowell sah sie ernst an. »Vielleicht finden Sie es heute Nacht heraus.«
Mrs Parsley brachte nur noch ein Wimmern hervor.
»Geister?«, fragte Justus verwundert. »Wovon sprechen Sie?«
»Hast du die Informationsbroschüre nicht gelesen?« Lowell sah ihn tadelnd an.
Justus schüttelte den Kopf. »Das muss mir wohl entgangen sein.«
»Dann auch hierzu in Kurzform das Wesentliche«, sagte Lowell. »Nach dem frühen Tod ihrer Tochter und dem kurz darauf folgenden Tod ihres Mannes war Mrs Marriott davon überzeugt, dass sich die Seelen der unzähligen Menschen, die durch Marriott-Gewehre getötet worden waren, an ihrer Familie rächen wollten und dass diese Geister, darunter besonders viele Indianer, bald auch sie holen würden. In ihrer Verzweiflung konsultierte sie ein Medium aus Boston, das ihr riet, ein Haus zu bauen, in dem sie vor den Geistern sicher wäre. Damit dies der Fall sei, dürfte dieses Haus jedoch nie fertig werden, müsste immer wieder abgeändert werden und sollte etliche Elemente aufweisen, die Geister angeblich verwirren. Das ist das Ergebnis!« Lowell hob beide Hände. »Der Abschreckung der bösen Geister soll übrigens auch die Zahl 13 dienen, auf die man überall im Haus stößt und vor der sich Geister angeblich fürchten: An einem Zimmer mit 13 Täfelungen vorbei führt der Weg 13 Treppenstufen hinunter in das 13. Badezimmer, das 13 Fenster hat. Man sieht dort auch 13 Kleiderhaken an der Wand, ein Tiffany-Fenster mit 13 Juwelen und einen Ausguss mit 13 Abflusslöchern. Dem Kronleuchter im großen Ballsaal, der ursprünglich 12 Gasflammen hatte, ist eine 13. hinzugefügt worden. Und es war daher auch kein Zufall, dass Mrs Marriott ständig 13 Zimmerleute beschäftigte und ihr Testament in 13 Teile gliederte und es 13-mal unterschrieb. Häufig wurde auch für 13 Personen gedeckt, für sie und 12 imaginäre Gäste. Übrigens wollte Mrs Marriott nicht nur die rachsüchtigen Geister fernhalten, sondern auch die guten anlocken. Das ist der Grund für all diesen überbordenden Luxus. Er sollte den guten Geistern schmeicheln. Und deswegen gibt es im ganzen Haus auch nur drei Spiegel. Denn Geister meiden ihr Spiegelbild. Es lässt sie angeblich verschwinden, wenn sie es sehen.«
»Verrückt! Einfach verrückt!«, entfuhr es Justus.
»Keineswegs«, entgegnete Lowell. »Zumindest nicht nach Mrs Marriotts Ansicht. Und es ereigneten sich auch tatsächlich viele Dinge in diesem Haus, die sich Forscher und Gelehrte bis heute nicht erklären können: Man hörte jemanden atmen in einem leeren Zimmer und vernahm Schritte in dem Raum, in dem Sarah starb. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Einst machte jemand Aufnahmen mit einer nagelneuen Kamera. Auf einem Bild sah man sich bewegende Lichter und die geisterhafte Erscheinung eines Mannes. Und ab und zu werden zwei Geister gesichtet, die angezogen sind wie zu damaligen Zeiten. Vielleicht waren es zwei Diener. Manche Besucher verloren kurzzeitig ihr Augenlicht, andere fühlten kalte Schauder. Und nachts spielt manchmal Mrs Marriotts Orgel. Die Töne wurden sogar von einem Rekorder aufgenommen.«
Es war mucksmäuschenstill in der Halle. Obwohl die meisten während Lowells Vortrag wissend genickt hatten und offenbar all diese Geschichten schon kannten, stand vielen das Unbehagen ins Gesicht geschrieben. Die Parsleys flüsterten aufgeregt miteinander. Offenbar wollte Mrs Parsley jetzt doch lieber nach Hause, aber ihr Mann nicht.
»Noch einmal zurück zu den Geheimgängen«, ergriff Nolan schließlich das Wort. »Es gibt ja nur diesen einen Eingang, durch den wir eben gekommen sind, richtig?«
»Exakt«, erwiderte Lowell.
»Ich habe allerdings unlängst gelesen, dass es noch einen weiteren, geheimen Zugang geben soll, den Mrs Marriott anlegen ließ. Wissen Sie davon?«
Lowell winkte lächelnd ab. »Ich kenne dieses Gerücht, aber ich darf Ihnen versichern, dass es nicht stimmt. Das Haus wurde nach Mrs Marriotts Tod mehrmals auf etwaige unbekannte Geheimnisse untersucht, aber außer einem alten, leeren Safe hat man nichts gefunden. Es gibt keinen geheimen Zugang.«
Wieder herrschte für ein paar Sekunden Schweigen.
»Gibt es noch
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