Haus des Todes
einen Riegel vorschieben. So etwas wird es in dieser Stadt nicht mehr geben. Ihr seid alle mit dem Fall vertraut, also lasst hören, was ihr dazu zu sagen habt. Gibt es Fragen? Vermutungen?«
Keiner stellt eine Frage. Es ist, als wären wir wieder in der Schule, und keiner weiß eine Antwort auf die Frage des Lehrers. Und erneut starren wir diese unglaublich interessanten Tische und Schuhe an und die Stelle rechts neben Stevens.
»Nur zu«, sagt er und schüttelt langsam den Kopf, enttäuscht von uns allen. Und dann treffen sich unsere Blicke, und ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe. »Tate?«, fragt er.
Alle drehen sich zu mir um, und plötzlich scheint die Welt stillzustehen. Damit hatte ich nicht gerechnet, und ich merke, wie ich rot werde. Ich gebe mir größte Mühe, jedem von ihnen in die Augen zu schauen.
»Viele von euch werden sich noch an Detective Inspector Theodore Tate erinnern«, sagt Stevens. »Aufgrund seiner Erfolgsbilanz haben wir ihn gebeten, uns zu unterstützen, auch wenn seine Bilanz in jüngster Vergangenheit, wie wir alle wissen, durch diverse Vorfälle getrübt worden ist.«
Detective Kent lächelt mich mitfühlend an, aber vielleicht ist sie auch ein wenig erleichtert – denn wenn ich
nicht hier wäre, hätte er diese Frage ihr als neustem Teammitglied gestellt.
»Viele von euch haben schon mal mit Tate zusammengearbeitet, ihr wisst also um seine Fähigkeiten, und jetzt haben auch die anderen Gelegenheit zur Zusammenarbeit mit ihm. Er hat wiederholt darum gebeten, ins Team zurückkehren zu dürfen, weil er der Meinung war, dass er in den letzten Jahren einen besseren Job gemacht hätte als wir, das stimmt doch, oder, Detective?«
»Ich will nur helfen«, erkläre ich, »und dabei mit den besten Leuten zusammenarbeiten.«
Mit dieser Antwort ziehe ich niemanden auf meine Seite.
»Also, wie wär’s, wenn Sie Ihre Chance nutzen und uns zeigen, wie schlau Sie sind? Erzählen Sie uns doch etwas, was keiner von uns weiß und was wir alle gerne hören möchten.«
Jetzt fühle ich mich erst recht wie in der Schule, wie ein Schüler, der vom Lehrer bloßgestellt wird. Ich schaue zu Schroder. Er verzieht keine Miene. Ich hoffe, er hatte keine Ahnung, dass Stevens diese Nummer mit mir abziehen würde. »Also, haben Sie irgendeine Theorie?«, fragt Stevens.
Ich habe eine Menge Theorien. Etwa die, dass Superintendent Stevens ein Arschloch ist, auch wenn er noch vor fünf Minuten eigentlich das Gegenteil behauptet hat. Aber das kann ich nicht sagen, denn eigentlich ist das keine Theorie, sondern eine Tatsache, und er will ja eine Theorie hören. Ich könnte darüber theoretisieren, dass mein
Leben angenehmer wäre, wenn ihn jemand vor der Arbeit auf dem Parkplatz windelweich geprügelt hätte. Und wahrscheinlich sogar noch angenehmer, wenn es heute nach der Arbeit passieren würde.
»Die Stichverletzungen«, sage ich, während ich mit den Händen in der Tasche die beiden Hälften von Jones’ Karte aneinanderreibe. Jetzt wird gezaubert.
»Was ist damit?«
Wenn Jones es herausgefunden hat, dann kann ich es auch.
»Die beiden ersten Opfer – was wäre, wenn sie die gleiche Anzahl Stichverletzungen aufweisen würden?«
Stevens schaut zu Schroder, dann wieder zu mir. »Worauf wollen Sie hinaus?«
»Wir müssen bei der Gerichtsmedizin nachfragen, wie oft auf Opfer Nummer zwei und Opfer Nummer vier eingestochen wurde.«
»Weil?«
Weil mir ein Hellseher gesagt hat, es seien bei den ersten beiden Opfern neunzehn Stichwunden gewesen, und er vermutet, beim letzten Opfer könnten es genauso viele sein.
»Weil ›mindestens ein Dutzend‹ genauso gut bedeuten kann, dass es neunzehn sind. Damit hätten drei der Opfer dieselbe Anzahl Verletzungen.«
»Abgesehen von dem vierten«, sagt er.
»Was sich mit Ihrer Aussage decken würde, dass Opfer Nummer drei nicht ins Muster passt. Derselbe Mörder, aber zwei unterschiedliche Motive. Nummer drei würde damit rausfallen.«
»Fahren Sie fort«, sagt er.
»Also«, sage ich, während mich alle anstarren und mein Hirn auf Hochtouren arbeitet, »sollten also drei der Opfer neunzehn Stichwunden aufweisen, dann könnte das was zu bedeuten haben.«
Niemand sagt etwas. Und ich weiß, dass ich jetzt ihre ungeteilte Aufmerksamkeit habe.
»Und was?«, fragt Stevens. »Eine Jahreszahl zum Beispiel? Oder eine Person? Wollen Sie darauf hinaus?«, fragt er und steigt mit ein.
»Genau. Was auch immer den Mörder verärgert hat, liegt womöglich
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