Haus des Todes
-Ermahnung.
»Wie geht’s, Theo?«, fragt er und streckt mir die Hand entgegen. Zögerlich greife ich danach, als würde er sie gleich wegziehen und mit ihr all die Angebote, die er bislang gemacht hat. Ich schüttle ihm die Hand. »Hören Sie, ich möchte mich bei Ihnen für Ihre gestrige Hilfe bedanken.«
»Danke«, sage ich.
»Sie waren der Einzige bei klarem Verstand, und man hat mir erzählt, dass meine Detectives heute die Titelseiten der Zeitungen zieren würden und sich nach einem neuen Job umsehen könnten, wenn Sie nicht ein wenig das Heft in die Hand genommen hätten. Darum bekommen Sie diese Chance. Sie haben sie verdient. Aber Sie haben nur wenig Spielraum. Sehr wenig. Hören Sie, ich weiß, dass ich mich vor zehn Minuten wie ein Drecksack benommen habe, aber wenigstens sind jetzt alle auf Ihrer Seite. Wenn ich mich hingestellt und erzählt hätte, was für eine Ehre es sei, Sie wieder bei uns zu haben, hätten die anderen Sie gehasst, denn das hätte sich so angehört, als wären sie auf Ihre Hilfe angewiesen. Jetzt haben sie ein schlechtes Gewissen, weil ich Sie so behandelt habe, auf diese Weise treten sie Ihnen wohlwollender gegenüber.«
Ich bin mir nicht sicher, ob sein Plan funktioniert hat, aber ich verstehe den Gedankengang.
»Und sollte Ihre Vermutung wirklich zutreffen, könnte sich daraus eine Erfolg versprechende Spur ergeben. Carl ist davon überzeugt, dass Sie uns helfen können«, sagt er und nickt zu Schroder, der inzwischen herübergekommen ist und nun neben mir steht. »Ich höre immer wieder, dass Sie unberechenbar sind, aber so wie ich die Dinge sehe, ist es vielleicht genau das, was wir jetzt brauchen«, sagt er und klatscht in die Hände. »Ich meine, Herrgott, dieser Irre ist ebenfalls unberechenbar, oder? Wir müssen ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen.«
»Vielen Dank für … das war wohl ein Kompliment.«
»Also, wir bezahlen Sie nicht dafür, dass Sie hier Ihre Zeit vertrödeln«, sagt er und lächelt. »Sondern dafür, dass Sie helfen, diesen Scheißkerl zu schnappen. Viel Glück«, fügt er hinzu, und ich habe keine Ahnung, was er wirklich von mir hält. Dann wendet er sich Schroder zu. »Wir müssen reden«, sagt er, und Schroder folgt ihm aus dem Zimmer. Ich trete ans Fenster und starre hinaus, während ich mit den Händen meine Augen vor der Sonne abschirme. Wo man auch hinschaut, blauer Himmel, allerdings kann man von hier aus nicht Richtung Süden sehen. Unten auf der Straße sind Passanten unterwegs, manche mit einem bestimmten Ziel, andere lassen sich treiben, und einige suchen die Parks auf, die so typisch für die Garden City sind. An einem der letzten Sonnentage vor dem Winter schieben sie Kinderwagen vor sich her und werfen sich Frisbee-Scheiben zu.
Ich gehe gerade zur Wand hinüber, als Schroder wieder zurückkehrt.
»War’s schlimm?«
»Was?«, fragt er.
»Was Stevens über mich erzählt hat.«
»Wie er schon gesagt hat, du hast nur wenig Spielraum.«
»Ach ja? Und was hat er noch gesagt?«
»Dass ich dich erschießen könne, ohne dass man Klage gegen mich erheben würde.«
Ich weiß nicht, ob er einen Scherz macht, und frage auch nicht nach, falls er es tatsächlich ernst meint. »Also, was ist meine Aufgabe? Soll ich der Sache mit den Stichverletzungen nachgehen?«
»Da bin ich schon dran. Ich möchte, dass du dir das hier vornimmst«, sagt er und gibt mir eine Akte.
Ich öffne sie. Sie enthält das Vorstrafenregister einer Frau namens Ariel Chancellor. Daraus starrt mich das Foto einer zweiundzwanzig Jahre alten Frau an, die dem Geburtsdatum zufolge inzwischen fünfundzwanzig ist. Sie wirkt, als hätte sie seit ihrer Teenagerzeit nichts Gehaltvolleres als einen Kartoffelchip gegessen. Sie hat ein hohlwangiges, blasses Gesicht, ihr blondes Haar ist glatt und stumpf und an den Spitzen fransig. Sie blickt finster in die Kamera, und es scheint, als würde sie außerhalb des Bildausschnitts einen Stinkefinger machen. Außerdem enthält die Akte Fotos von ihren Fingerabdrücken und einen kurzen Lebenslauf. Sie wurde wegen Drogenbesitzes und Ladendiebstahls verhaftet. Ich schaue von ihrem Foto zu Schroder, der, abgesehen von dem Make-up
und dem langen Haar, gerade einen ähnlichen Gesichtsausdruck aufgesetzt hat wie sie.
»Scheint ein nettes Mädchen zu sein«, sage ich. »Ist sie diejenige, die letzte Nacht in Haywards Wagen war?«
»Den Fingerabdrücken auf seinem Gürtel und in seinem Wagen zufolge, ja. Ich möchte, dass du dieser Spur
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