Haus des Todes
leert sie ihren Drink. »Vielleicht kenne ich sie aus dem Fernsehen. Vielleicht hatte sie mit einem spektakulären Fall zu tun, und es wurde darüber berichtet. Haben Sie daran mal gedacht?«
Da ist was dran.
»Ist Ihnen irgendwas Verdächtiges aufgefallen?«, frage ich. »Ist Ihnen jemand gefolgt? Hat Sie irgendjemand beobachtet?«
»Wann? Letzte Nacht?«
»Ja, letzte Nacht. Oder in irgendeiner Nacht davor.«
Sie zuckt mit den Achseln. »Nein.«
»Was können Sie mir über die anderen Kunden gestern Nacht erzählen?«
»So viel wie über den hier«, sagt sie und deutet mit
dem Kopf auf das Foto von Hayward neben denen der drei anderen auf dem Couchtisch. »Sie können mir ein paar Fotos zeigen, und ich sage Ihnen, wer geduscht hat und wer nicht, aber das war’s dann auch schon.«
Ich danke ihr für ihre Mühe, klaube die Bilder zusammen und lege meine Karte auf den Tisch.
»Ich dachte, Sie wären ein Cop«, sagt sie, während sie einen Blick auf die Karte wirft.
»Das bin ich auch«, erkläre ich. »Aber das ist hier meine Nummer.« Allerdings steht auf der Karte, dass ich Privatdetektiv bin.
»Kapier ich nicht«, sagt sie, und ich habe das Gefühl, dass es eine Menge Dinge gibt, die sie nicht kapiert. Simple Logik zum Beispiel. Oder dass sie eine Putzfrau braucht.
»Rufen Sie mich an, falls Ihnen noch was einfällt, okay? Wir versuchen, einen Mörder zu fassen.«
»Und ich versuche, das hier leer zu kriegen«, sagt sie und hält die beinahe leere Wodkaflasche hoch, »bevor ich mich hinlege und in neun Stunden denselben Traum noch einmal durchlebe.«
Ich lasse sie mit ihrem Drink und ihren Träumen allein. Und fahre zum Krankenhaus, in der Hoffnung, Schroder dort noch anzutreffen. Die eine Hälfte des Klinikparkplatzes ist wegen Baumaßnahmen gesperrt; die Arbeiter machen gerade Kaffeepause, alle haben eine Zigarette in der Hand. Offensichtlich rauchen einige Leute nur, damit ihre Hände was zu tun haben, wenn sie in Gesellschaft sind. Ich fahre in den Bereich fürs Personal,
wo ein paar Plätze für die Polizei reserviert sind, und stelle mich direkt neben Schroder, der in seinem Wagen telefoniert. Er schaut zu mir herüber und nickt. Vor dem Gebäude stehen mehrere Ärzte, sie rauchen ebenfalls und unterhalten sich mit einer Schwester mit langem blondem Haar, die aussieht, als käme sie gerade von einem Pornodreh. Sie wirft immer wieder ihre Mähne über die Schultern und lacht bei jeder kleinen Bemerkung. Ich schätze, dass sie selbst bei einer OP ständig mit den Augen zwinkert und lacht, nur um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ich laufe an einem Müllcontainer mit dem Biogefährdungszeichen vorbei. Vielleicht ist er voller Spritzen, allerdings könnten darin genauso gut Leichenteile liegen. Ich muss irgendetwas unterschreiben, damit der halslose Sicherheitsmann mich durchlässt; er deutet auf den einzigen Aufzug in Sichtweite, und ich warte dort auf Schroder, um zusammen mit ihm einzusteigen.
»Was ist los?«, frage ich, als er mich eingeholt hat und ich seine finstere Miene sehe.
»Vielleicht sollte ich mehr saufen«, sagt er. »Damit man mich feuert. Wahrscheinlich kann ich meine Frau nur so davon abhalten, dass sie mich verlässt.« Er schaut mich nachdenklich an. »Weißt du, ständig erzähle ich ihr, dass es bald besser wird, und dann gibt es einen neuen Fall, und … und ich bin wieder weg. Sie meint, es ist, als wäre sie mit einem Geist verheiratet. Und mit dem Baby … wir haben einfach Stress, das ist alles.«
»Ich bin mir sicher, das renkt sich wieder ein«, sage ich, doch ich weiß selbst, wie mau das klingt.
»Ja, also … drauf geschissen«, sagt er und drückt auf den Knopf, um uns hinunter in die Eingeweide des Krankenhauses zu befördern.
Das Einzige, worauf man sich im Leben verlassen kann: Die Atmosphäre in einer Leichenhalle ist immer dieselbe. Menschen kommen und gehen – Mitarbeiter, der Gerichtsmediziner, die Putzkräfte, die Opfer –, und im Laufe der Jahre wird die Ausrüstung unmerklich modernisiert, wahrscheinlich wird sie sorgfältig aus einem Katalog ausgewählt, den ein Vertreter mit ins Krankenhaus bringt. Aber die Atmosphäre kann nicht modernisiert werden – sie ist immer trostlos und bedrückend, und jedes Mal, wenn man den Aufzug besteigt, tritt man eine Reise an, hinab zu einem Quell stetigen Leids.
Die Leichenhalle ist voller kalter, glänzender Oberflächen, in denen sich das harte weiße Licht spiegelt, sodass die sterile
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