Haus des Todes
Umgebung noch steriler wirkt. Auf mehreren Bahren liegen Leichen – vier davon erkenne ich wieder, zwei nicht, und alle haben sie denselben Gesichtsausdruck.
Normalerweise arbeiten hier zwei Gerichtsmediziner, aber Bernard, die Nummer zwei, ist nicht da. Seine Tochter heiratet auf Fidschi, direkt am Strand, und er ist mit seiner Familie dort, tankt Sonne und schlürft Cocktails, weshalb alle hier unten, die Toten eingeschlossen, jetzt lieber bei ihm als bei Tracey wären, obwohl sie attraktiver und lebendiger ist als er. Das momentane Arbeitspensum hat Tracey um einiges altern lassen, seit ich sie vor ein paar Stunden zuletzt gesehen habe.
»Bitte, Jungs, gebt mir etwas Zeit«, sagt sie, ohne von der Akte in ihren Händen aufzusehen, in die sie gerade vertieft ist. »Ich weiß, ihr seid verzweifelt, aber wenn ihr diesen Leuten nicht Gesellschaft leisten wollt«, sagt sie und deutet mit dem Kopf auf die Opfer, »müsst ihr etwas mehr Geduld aufbringen.«
»Nur einen ersten Eindruck«, sagt Schroder, um einen beruhigenden Tonfall bemüht.
»Gerne, mein erster Eindruck ist, dass ich besser bezahlt werden sollte. Mein zweiter, dass Bernard sich die richtige Woche für seinen Urlaub ausgesucht hat. Und wenn ihr wollt, kann ich selbst auch den Eindruck erwecken, als wäre ich eine cholerische Gerichtsmedizinerin, die den Verstand verliert und auf einen Polizeibeamten losgeht und auf einen …« Sie schaut mich an. »Was zum Henker bist du jetzt eigentlich?«
»Deine Verkörperung einer übergeschnappten Gerichtsmedizinerin würde auf zwei Polizeibeamte losgehen.«
Sie schaut zu Schroder, und der nickt. »Das stimmt«, sagt er und legt ihr eine Hand auf den Arm. »Hör zu, Tracey, ich weiß, das ist ein bisschen viel verlangt, und ich wäre nicht hier, wenn es nicht wichtig wäre, aber bitte, was hast du für uns?«
Sie nickt langsam, und für einen Moment lächelt sie zaghaft. »Okay«, sagt sie, »dann mal hier rüber.« Und wir versammeln uns um Victoria Browns Leiche. »Zunächst einmal, du hattest recht, was die Stichverletzungen betrifft«, sagt sie und schaut zu Schroder. »Es sind genau neunzehn. Drei davon gehen in dieselbe Wunde, aber mit
unterschiedlichen Eintrittswinkeln. Der Mann da drüben hat allerdings nur eine.« Sie deutet mit dem Kopf auf Brad Hayward, der wie unbeteiligt daliegt.
»Alle Opfer wurden mit demselben Messer getötet«, sagt sie, »und Opfer Nummer zwei weist ebenfalls neunzehn Stichwunden auf.«
Ich spüre, wie es mir kalt den Rücken runterläuft. Drei Opfer mit neunzehn Stichverletzungen. Das muss etwas zu bedeuten haben.
»Opfer Nummer eins war todkrank – er litt seit Jahren an Lungenkrebs«, erklärt sie. »Bei Opfer Nummer vier war es nicht ganz so schlimm, aber so richtig am Leben war er auch nicht mehr. Ach, und wie vorhin erwähnt, es deutet einiges darauf hin, dass Opfer Nummer drei kurz vor seinem Tod Sex hatte. Seine Frau sollte sich testen lassen«, fügt sie hinzu. »Auf Syphilis.«
Das wird kein angenehmes Gespräch.
Tracey reicht uns einen Abguss von der Klinge, mit der diese Leute getötet wurden. Sie hat in eine der Wunden eine zähe Flüssigkeit gegossen, die sich dann darin verteilt hat und gehärtet ist. Dadurch wissen wir, wie groß das Messer ist. Es sieht aus wie ein Küchenmesser, mit dem ein Koch Zwiebeln würfeln oder das Hitchcock einem Verrückten in die Hand drücken würde. Zu wissen, wie die Waffe aussieht, bringt uns der Identität des Täters kein Stück näher, erst recht nicht, da es unzählige solcher Messer gibt. Die neunzehn Stichwunden dagegen könnten uns weiterhelfen. Allerdings wissen wir nicht genau, wie – noch nicht.
»Ich rufe euch an, sobald ich mehr weiß«, sagt sie.
Die Fahrt mit dem Aufzug an die Oberfläche kann die trübselige, bedrückte Stimmung, die sich meiner auf dem Weg nach unten bemächtigt hat, nicht wieder vertreiben, ja, das Gefühl wird durch den Gegensatz sogar noch verstärkt. Es dauert immer ein paar Minuten, bis man diese düstere Atmosphäre wieder abgeschüttelt hat.
Die Kaffeepause ist inzwischen vorbei, und wir stehen auf dem Parkplatz, umhüllt vom Staub der Bauarbeiten, während sich die Arbeiter, begleitet von Gehämmer und Motorenlärm, etwas zubrüllen. Die Ärzte und die Schwester sind verschwunden und spielen wieder ihre Doktorspielchen. Es ist ein sonniger Tag. Ich gähne, erst in die eine Hand, und gerade als ich Schroder etwas sagen will, auch in die andere. Ich habe keine
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