Haus des Todes
verständlich zu machen.
»Genau. Vielleicht kennt sie sie aus dem Fernsehen. Wir müssen überprüfen, ob sie an irgendeinem spektakulären Fall beteiligt war. Wenn ja, dann könnte Chancellor sie daher kennen. Dann könnte es zwischen diesem Fall und den aktuellen Ereignissen einen Zusammenhang geben. Wenn nicht, dann kennt Chancellor sie von irgendwoher anders. Sie war allerdings keine wirkliche Hilfe, sie war mit irgendeinem Zeug zugedröhnt und hat getrunken, und je länger wir uns unterhalten haben, desto schlechter wurde ihr Gedächtnis. Offensichtlich ist sie nur irgendeine Prostituierte, die Hayward auf seinem
Nachhauseweg mitgenommen hat und die nichts mit den Ereignissen zu tun hat.«
»In Kürze kriegen wir den Durchsuchungsbescheid für Browns Fallakten«, erklärt Schroder, »aber ich kann dir sagen, dass wir die Nachrichtenarchive bereits überprüft haben und nirgends auf ihren Namen gestoßen sind. Das heißt allerdings nicht, dass nicht über einen ihrer Fälle berichtet wurde, denn meistens konzentrieren sich die Medien auf die Tatverdächtigen und die Opfer und erwähnen den Namen des Anwalts nur selten. Wir sind dabei, die Prozessakten der Gerichte durchzusehen, aber wie in allen staatlichen Behörden ist Effizienz für diese Leute ein Fremdwort. In den Unterlagen und in Browns ehemaliger Kanzlei müsste sich bis heute Abend irgendetwas finden lassen. Trotzdem, es ist frustrierend – man sollte doch meinen, dass alle an einem Strang ziehen, um diesen Scheißkerl zu überführen.«
»Ich werd’s heute später noch mal bei Chancellor versuchen, wenn sie ausgeruhter ist. Was hat das Vorstrafenregister ergeben?«
»Keiner der kürzlich aus dem Gefängnis Entlassenen hat neunzehn Jahre gesessen«, sagt er.
»Und neunzehn Monate?«
»Da haben wir was – allein die Liste mit den Leuten, die so lange im Bau waren und dieses Jahr entlassen wurden, umfasst etwa hundert Personen. Aber vielleicht hat das Gefängnis auch gar nichts damit zu tun.«
»Es geht hier um Rache. Wo sonst soll unser Mann die ganze Zeit gesteckt haben? Warum hat er diese Leute
nicht längst umgebracht? Victoria Brown kann ihn in den letzten sieben Jahren nicht gegen sich aufgebracht haben, wo hat er also gesteckt, wenn er nicht im Knast war?«
»Im Krankenhaus? Im Ausland? In der Armee?«
»Er war im Gefängnis«, erkläre ich, und Schroder nickt.
»Das denke ich auch«, sagt er. »Es waren nur keine neunzehn Jahre. Es muss etwas anderes zu bedeuten haben. Wir werden zunächst alle Häftlinge überprüfen, die in den letzten sechs Monaten landesweit entlassen wurden. Sollte dabei nichts herauskommen, arbeiten wir uns weiter in die Vergangenheit zurück, bis wir etwas haben.«
Kapitel 23
Während ich vom Krankenhaus fortfahre, lausche ich dem Radio. Seit einigen Monaten wird in den Medien und unter Politikern die Todesstrafe diskutiert. Einige Leute wollen sie wieder einführen – sie wurde 1961 zwar abgeschafft, aber es gibt gute Gründe dafür, die Entscheidung zu überdenken. Andere Leute widert die Vorstellung an – sie halten das für Mord und meinen, so etwas lasse sich durch nichts rechtfertigen. Immer wieder brandet die Debatte darum auf, besonders wenn in einem Mordfall ermittelt wird. Es gibt glühende Gegner und Befürworter – es ist eine jener Debatten, in der es keine Zwischenpositionen gibt, und jeder hat eine Meinung dazu. Würde man mich fragen, würde ich sagen, dass man auf diese
Weise die Mörder dauerhaft aus dem Verkehr ziehen kann. Ja, es ist sogar die einzige Möglichkeit. Die Öffentlichkeit will dazu eine Volksbefragung – sie will dazu gehört werden. Aber in unserer Welt bleiben die Opfer tot, werden die Mörder wieder auf freien Fuß gesetzt, und niemand schenkt den Menschen Gehör. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich daran je etwas ändern wird. Na ja, vielleicht wenn die Affen die Macht übernehmen.
Ich halte in einem Café und hole mir einen Kaffee und einen Bagel. Die Frau hinter der Theke – sie ist Mitte zwanzig – strahlt mich an und erkundigt sich, wie mein Tag war. Gut, sage ich und erzähle ihr nicht von den Leichen, die ich gerade gesehen habe, oder dass mein Tag vor knapp dreißig Stunden begonnen hat. Ich frage sie ebenfalls, wie ihr Tag war. Klasse, sagt sie, ohne es näher auszuführen, hoffentlich aus anderen Gründen als ich. Im hinteren Teil des Cafés herrscht nur wenig Betrieb, und ich gehe zu einer der Sitzecken. Auf dem Tisch liegt
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