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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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den hohen Preis erstaunt war: Es ist Krieg, und die Betten werden rar und teuer Ȭ schüchtern im Wohnzimmer sich einfindende Frauen, die zum erstenmal das Unabänderliche außerhalb des Ehebetts vollzogen hatten, der halben Hurigkeit dieses Erlebnisses sich schämten, es zugleich genossen: Hier wurden die Abc Ȭ Schützen des Jahres 1946 gezeugt, magere, rachitische Kriegskinder, die den Lehrer fragen würden: »Ist der Himmel der Schwarzmarkt, wo es alles gibt?« Scheppernde Klingel, Bettgestell aus Eisen und ausgebeulte Seegrasmatratze, die noch zweitausend Kriegsnächte lang begehrtes Objekt sein würde, bis die Abc Ȭ Schützen des Jahres 1951 gezeugt sein würden.
    Krieg ist immer gut für die Dramaturgie, weil das ungeheure Ereignis
    dahintersteht: der Tod, der die Handlung zu sich hinzieht, sie spannt wie das Fell auf der Trommel, das unter der leisesten Berührung des Fingers zu tönen beginnt. Noch eine Limonade, Luigi, und ganz, ganz kalt und sehr viel aus der kleinen, grünen Flasche hinein, die das Bittere enthält: kalt und bitter wie die Abschiede an den Straßenbahnstationen oder vor den Kasernentoren. Bitter wie der Staub, der aus den Matratzen der Absteigequartiere steigt: feiner Puder, sublimer Dreck, der aus den Ritzen der Tapeten rieselt und in den Schienen der Linie 10, der Linie 8, der Linie 5 knirscht, wenn sie abfahren zu den Kasernen hin, wo die Trostlosigkeit schmort. Kalt wie das Zimmer, aus dem ich den Koffer holen mußte, das Zimmer, wo schon die nächste sich einzurichten beginnt: blonde und gute, biedere Reservefeldwebelsfrau, westfälischer Dialekt und die ausgepackte Wurst und das ängstliche Gesicht, das meinen bunten Schlafanzug für den einer Hure hält, die ich doch ge Ȭ nauso ehelich wie sie das Unabänderliche genieße: Ich bin getraut worden von einem schwärmerisch blickenden Franziskaner an einem sonnigen Frühlingstag, denn Rai wollte das Unabänderliche nicht genießen, bevor wir getraut waren. Keine Angst, gute Reservefeldwebelsfrau. Der gelbe Butterklumpen in Pergament, das vor Scham knallrote Gesicht, das bald weinen wird. Eier, die über den dreckigen Tisch rollen. Oh, Feldwebel, der du sonntags so schön den Baß im Hochamt sangst, was hast du deiner Frau
    und Hühnern, dies irae Ȭ Sänger in Totenmessen, für den Verdun nach zehn
    Jahren gerade noch für eine Frühschoppengeschichte reichte, du biederer Zeuger von vier schulpflichtigen Kindern, der du der Baß, die dunkle Orgel des Kirchenchors bist, was hast du deiner Frau angetan, die diese Nacht den bitteren Staub aus der Matratze schlucken und in dem Gefühl nach Hause fahren wird, eine Hure zu sein, im Schoße davontragend den Abc Ȭ Schützen des Jahres 1946, der ein Halbwaise sein wird, denn du, fröhlicher Sänger und fröhlicher Verdunerzähler, wirst mit einer Pakgranate in der Brust im Sand der Sahara liegen, denn du bist nicht nur ein guter Baß, sondern auch tropentauglich. Ein weinendes, rotes Gesicht und das Ei, das über die Tischkante rollt und auf den Boden fällt: klebriges Eiweiß, dunkelgelber Dotter darin, die zerbrochene Schale, und so kalt und dreckig das Zimmer, so leer mein Koffer, der nur den viel zu bunten Schlafanzug enthält und ein wenig Toilettenzeug, viel zu wenig Inhalt, um die gute Frau zu überzeugen, daß ich keine Hure bin. Dazu noch das Buch, auf dem deutlich zu lesen ist: Roman, und sie hält meinen Trauring erst recht für eine Täuschung, die mir nicht gelungen ist. Der Abc Ȭ Schütze des Jahres 1946 wird bei dir von einem Klempner, der von 1948 bei mir von einem Dichter gezeugt werden, aber das macht keinen großen Unterschied. Danke, Luigi, leg noch einmal die eine Platte auf, die eine, du weißt. Luigi weiß. Wilde Primitivität, die im richtigen Augenblick ausklingt, Melodie, die wimmernd in den Abgrund sinkt, sich auflöst, aber wieder hochkommt. So kalt ist die Limonade, wie die Zimmer waren, so bitter wie der Staub, und der blaue Lichtstrahl vom Schwanzgefieder des Hahns liegt jetzt auf meiner Hand.
    Weiter arbeitet die Dramaturgie mit diesem dunklen Licht, das für die Stimmung so günstig ist. »Das gibt Atmosphäre.« Wieder der bittere Geruch am Rande des Truppenübungsplatzes, schon sind viele Soldaten dekoriert, das Geld fließt, und die Zimmer werden immer rarer: zehntausend Soldaten, von denen fünftausend Besuch bekommen, und im ganzen Dorf nur zweihundert Zimmer, wobei schon die Küchen mitgezählt sind, wo auf Holzbänken die Abc Ȭ Schützen des Jahres

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