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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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Gäseler immer nur künstlich entfachen kann.«
    Albert fing ihren lauernden Blick auf und fragte: »Wie kommst du auf
    »Oh, nichts, ich dachte nur daran Ȭ du, du sprichst nie über Rai. Du müßtest
    es wissen, aber darüber sprichst du nie.« Albert schwieg. Rai war in den letzten Wochen vor seinem Tod fast stumpfsinnig gewesen; er war müde dahergetrottet, und ihre Freundschaft hatte sich darin erschöpft, die Zigaretten zu teilen und einander beim Herrichten des Quartiers und beim Reinigen der Waffen zu helfen. Müde war Rai gewesen wie die meisten In Ȭ fanteristen, von denen er sich nur wenig unterschied. Nur an manchen Vorgesetzten entzündete sich sein Haß. »Es gibt noch etwas«, sagte Nella,
    »wovon du nie gesprochen hast.«
    Albert sah sie an, er hielt seine leere Tasse hin, und sie schenkte ihm Kaffee ein, und er hatte Zeit, alles hinauszuzögern, solange er in der Milch rühren, den Zucker zerkleinern konnte. »Es ist nicht viel zu sagen«, sagte er, »Rai war müde, er war zerschlagen, und ich habe wohl nie darüber gesprochen, weil ich nichts darüber weiß. Jedenfalls nicht viel.« Er ertappte sich dabei, daß er an den großen Sunlight Ȭ Karton dachte, an die mürrische kleine Händlerin, die ihm damals den Karton gegeben hatte: Es war schon dunkel gewesen, und er hatte keine Lust gehabt, in sein Zimmer zu gehen, wo der Ofen nicht recht zog und der fettige, bittere Kohlenqualm sich in Möbeln, Kleidern und der Bettwäsche festgesetzt hatte; wo Leens Spirituskocher noch auf dem Hocker stand, bekleckert mit Suppen, die Leen hatte überkochen lassen.
    »Stumpf und passiv war Rai«, sagte er, als Nella ihn anblickte, »aber das war er schon, als ich aus England zurückkam. Zurechtgeschüttelt, zurechtgetrommelt; seit vier Jahren schon hatte er nichts mehr geschrieben, was ihm Spaß machte.« Er dachte an die atemlose Stille, die geherrscht hatte, als der Krieg ausbrach: Für einen Augenblick war es still gewesen in der gan Ȭ zen Welt, als das Zahnrad in den bereitstehenden Mechanismus griff; als es eingeklickt war, lief der Mechanismus, und sein Wirken stärkte den Stumpfsinn und bestärkte die Resignation. Er schüttelte den Kopf, als Nella ihm die Zigarette hinhielt, er griff aber automatisch in die Tasche, gab ihr Feuer und versuchte, ihrem lauernden Blick zu entgehen.
    »Wirklich«, sagte er, »es ist kein Geheimnis dabei. Nur: Es ist natürlich nicht
    schön für einen Dichter, überall den Slogans zu begegnen, die er selbst verfaßt hat: Marmeladenslogans. >Das ist
    also mein Beitrag zum Krieg Ȭ gegen den Kriegs sagte Rai einmal zu mir Ȭ und
    er trat voller Haß gegen einen Marmeladeneimer aus der Fabrik deines Vaters. Es war auf dem Bazar in Winiza, wo eine alte Frau in einem sauberen Marmeladeneimer Gebäck feilhielt: Nußecken waren es, und der Eimer fiel um, und die Nußecken fielen auf die Erde Ȭ Rai und ich halfen der Frau, alles wieder aufzuheben, wir bezahlten es ihr und entschuldigten uns.«
    »Weiter«, sagte Nella, und er sah, daß sie sehr gespannt war, als erwartete sie
    eine sensationelle Enthüllung. »Nichts weiter«, sagte er, »vierzehn Tage später war er tot, aber der Weg zu seinem Tod war auch mit Marmeladeneimern umsäumt: Es war natürlich ein Schlag für uns beide, überall diese Dinger zu sehen, es machte uns krank, und keinem anderen fiel es auf, nur — wenn ich ȇ s dir sage, wirst du mich hassen und wirst böse sein.«
    »Liegt dir so viel daran, von mir nicht gehaßt zu werden?« »Schon«, sagte
    er, »es liegt mir schon viel daran.« Er hatte Nella die ganze Zeit über im Auge behalten und ihr Gesicht beobachtet, aber ihr Gesicht veränderte sich nicht. Sie griff nur nach der Zigarettenpackung, nahm eine Zigarette heraus, zündete sie an, obwohl ihre erste Zigarette, noch nicht halb aufgeraucht, qualmend im Aschenbecher lag. »Über das alles, Nella«, sagte er leise, »möchte ich nicht mehr sprechen, wir wissen, daß Rai tot ist, wissen, wie er gestorben ist, und es ist sinnlos, nach Motiven zu suchen.« »Sprach er wirklich nicht mehr mit dir, wie du immer erzähltest?«
    »Nein«, sagte er, »er konnte nicht sprechen, die Luftröhre war verletzt. Er sah
    mich an, und weil ich ihn kannte, konnte ich aus seinen Blicken, aus seinem Händedruck wohl einiges lesen, daß er zornig war über den Krieg, zornig wohl auch auf sich selbst, und daß er dich liebte und mich bat, mich um das Kind zu kümmern Ȭ du hattest ihm geschrieben, daß du schwanger seist. Das

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