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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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ist alles.«
    »Er betete nicht? Du sagtest doch immer...« »Er betete wohl, er bekreuzigte
    sich, aber das werde ich niemals jemand erzählen, und wenn du ȇ s jemand von diesen Schweinen sagst, schlag ȇ ich dich tot. Wirklich«, sagte er, »das wäre ein Fressen für sie, und die Legende wäre fertig.«
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    Nella bemerkte jetzt die zweite Zigarette, drückte sie lächelnd aus. »Ich verspreche dir, daß ich es niemand erzählen werde.«
    »Schön wäre, wenn du all diese Leute fallen ließest.«
    »Wirst du das alles auch dem Jungen erzählen?«
    »Später einmal.«
    »Und Gäseler?«
    »Was ist mit ihm?«
    »Nichts«, sagte sie, »ich mache mir manchmal Vorwürfe, daß ich keinen flammenden, keinen racheschwangeren Haß gegen ihn empfinde.«
    »Im Grunde«, sagte er, »würde er ganz gut zu Schurbigel passen. Was ist Ȭ was hast du, warum wirst du rot?«
    »Laß mich«, sagte sie, »laß mich ein paar Tage in Ruhe: Ich muß mir über
    verschiedenes in Ruhe meine Gedanken machen – gib mir die Briefe, bitte.« Er trank den Kaffee aus, ging in sein Zimmer, holte die beiden Briefpacken und legte sie vor Nella auf den Tisch.

    Er hatte tagelang mit den Handwerkern zu tun, sich mit ihnen zu beraten und Kostenanschläge einzuholen. Die Pumpe im Keller wurde repariert, das Dach, und im oberen Geschoß würden die Decken neu verputzt. Bolda konnte jetzt nach jeder Wäsche das Wasser aus dem Keller in den Kanal pumpen, und der Keller wurde gesäubert und ausgeräuchert. Verschimmelte Vorräte, Lumpen kamen zum Vorschein und Kartoffeln, deren Keime so lang waren wie Spargel.
    Albert ließ auch die dunklen, grünen Scheiben aus den Flurfenstern
    herausnehmen, und es kam nun Licht in die Diele. Die Großmutter schüttelte den Kopf über so viel Aktivität, sie kam jetzt öfter aus ihrem Zimmer heraus, sah den Handwerkern zu und überraschte alle durch die Mitteilung, sie werde die Reparaturen bezahlen. Wie Nella annahm, entsprang dieser Entschluß ihrer Vorliebe für ihr Scheckbuch, dessen sie sich mit einem kindlichen Stolz bediente. Sie zog es so gern aus der Schublade ihres Schreibtisches, schlug es auf, füllte mit der Miene einer alten Prokuristin den bläulichen Scheck aus, löschte ihn ab und riß ihn mit elegantem Schwung aus der Perforierung. Dieses helle, tuckerige Geräusch, wenn der Scheck sich aus
    der Verzahnung löste, rief auf ihrem großen, rosigen Gesicht ein glückliches
    zigjährige Frau vor vierzig Jahren ein Scheckbuch bekommen hatte, von
    diesem Augenblick an hatte ihre kindliche Freude über die Tatsache, daß sie Geld machen konnte, nicht nachgelassen. Sie verschliß eine Menge von Scheckbüchern, denn jede Kleinigkeit bezahlte sie mit Schecks, sogar die Zechen in Restaurants und Cafes, und es kam oft vor, daß sie Martin mit einem Scheck über vier Mark zum Händler schickte, vierzig Tomahawk zu holen. Gab es gar nichts zu bezahlen, war ihr Zigarettenvorrat gedeckt, der Eisschrank mit allem gefüllt, dann ging sie im Hause umher und bot allen Geld an, nur, damit sie einen Scheck herausreißen und die sägeartige Musik hören konnte, die das Herausreißen begleitete. Sie ging dann, die Tomahawk im Mund, mit dem flatternden Scheckbuch von Zimmer zu Zimmer Ȭ so, wie sie bei Blut im Urin mit der Urinflasche herumzog Ȭ und sagte: »Wenn du Geld nötig hast, ich könnte dir aushelfen«, und schon saß sie auf einem Stuhl, schraubte den Füller auf Ȭ auch dessen bediente sie sich mit kindlichem Stolz Ȭ und fragte: »Wieviel müßte es sein?« Glum war bei diesen Gelegenheiten am nettesten zu ihr, er nannte dann eine sehr hohe Summe, setzte sich zu ihr, feilschte lange mit ihr hin und her, bis sie endlich den Scheck ausfüllen und ihn herausreißen konnte. Sobald sie gegangen war, zerriß Glum Ȭ wie es alle taten Ȭ den Scheck und warf die Schnipsel fort.
    Meistens aber hockte Großmutter in ihrem Zimmer, und niemand wußte
    genau, was sie den ganzen Tag über trieb. Sie ging weder ans Telefon noch öffnete sie die Tür, wenn geklingelt wurde. Oft kam sie erst gegen Mittag aus ihrem Zimmer und ging, mit dem dicken, geblümten Morgenrock bekleidet, in die Küche, um sich ihr Frühstück zu holen. Man hörte nur ihren Husten, denn ihr Zimmer füllte sich, weil sie unaufhörlich rauchte, mit Zigarettenqualm, der langsam in strähnigen grauen Schwaden in die Diele stieg. An solchen Tagen mochte sie niemand sehen außer Martin, den sie in das Zimmer rief. Das Kind entfloh, wenn es eben ging, sobald die

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