Haus Ohne Hüter
Briefpakete und den Karton und stieg hinauf. Nella saß in ihrem Zimmer
und weinte. Sie hatte die Tür offengelassen, um ihn zu sehen, wenn er aus dem Keller kam, aber er ging durch die Diele an ihrer offenen Tür vorbei. Er schämte sich wegen des sinnlosen Streits, der seit Jahren periodisch zwischen ihnen ausbrach, der immer mit denselben Argumenten geführt wurde und immer wieder mit Versöhnung endete.
Er setzte den Sunlight Ȭ Karton in seinem Zimmer ab, legte die beiden
Briefpacken darauf und ging ins Badezimmer, sich gründlich zu säubern. Der Gedanke, daß unten im Keller die Ratten wühlten, entsetzte ihn, und in einem plötzlichen Ekel beschloß er, saubere Wäsche anzuziehen.
Als er aus dem Badezimmer zurückkam, saß Nella immer noch bei offener
Tür in ihrem Zimmer. »Kommst du nicht herüber, Kaffee trinken?« rief sie.
»Gleich«, sagte er.
Er schrieb sich aus dem Telefonbuch die Nummern eines Maurers, eines Dachdeckers, eines Installateurs und eines Kammerjägers heraus, rief alle vier an und beauftragte sie, zu ihm zu kommen. Es war in acht Minuten erledigt, und er ging in Nellas Zimmer und setzte sich ihr gegenüber in den Sessel.
»Wußtest du, daß wir Ratten im Keller haben?« Sie zuckte die Schultern:
»Bolda beklagte sich mal darüber.« Ȭ »Die Kartoffeln keimen«, sagte er wütend, »faulende Nährmittel stehen herum, und ein halber Sack verschimmelten Mehls steht neben dem Eingang zur Waschküche. Euer ganzer Hamsterdreck verkommt da unten, und in den Marmeladeneimern, die ihr nie ganz leert, fahren die Ratten Schlitten. Es ist eine Sauerei.« Nella runzelte die Stirn und schwieg.
»Seitdem ich in diese verfluchte Familie hineingeraten bin, habe ich versucht,
gegen Dreck und Schlamperei anzugehen, aber seitdem dein Vater tot ist, komme ich gegen euch nicht mehr auf. Bald wird man nur noch mit einer Pistole den Keller betreten können — und du könntest einen fabelhaften existentialistischen Privatfilm da unten drehen: fast kostenlos...« »Nimm den Kaffee«, sagte sie.
Er zog die Tasse zu sich herüber, rührte die Milch um. »Ich werde das Dach
und die Decken reparieren, den Keller ausräuchern und die Pumpen nachsehen lassen. Meinst du, es ist gut für den Jungen, an dieser Schlamperei
»Ich wußte gar nicht«, sagte Nella müde, »daß du so für Ordnung bist und dich so an Aktivität berauschen kannst.« »Du weißt manches nicht, weißt zum Beispiel nicht, daß Rai wirklich ein guter Dichter war Ȭ trotz des widerlichen Rummels, den sie mit ihm machen Ȭ , und ich werde etwas tun, ich werde Briefe von Schurbigel aus der Kiste unten heraussuchen, bevor die Ratten diese unbezahlbaren Dokumente gefressen haben.« »Rai war mein Mann«, sagte sie, »und ich mochte ihn, alles an ihm Ȭ aber seine Gedichte mochte ich am wenigsten, ich verstand sie nie. Ich wünschte nur, er wäre kein Dichter gewesen und lebte noch. Hast du die Briefe nun endlich gefunden, die du suchst?«
»Ja«, sagte er, »ich habe sie gefunden, es tut mir leid, daß ich es zum Streit kommen ließ wegen dieser alten Geschichten, die wir nicht mehr erwähnen sollten.«
»Nein, es ist gut. Ich möchte die Briefe lesen, obwohl es überflüssig ist, denn ich weiß natürlich, daß du recht hast, daß ich schuld bin, wenn du aus London zurückkamst, aber trotzdem möchte ich die Briefe lesen. Es wird mir ganz guttun.« »Lies sie und behalte sie, meinetwegen verbrenne sie. Es liegt mir nichts daran, zu beweisen, daß ich recht hatte. Man meint nur immer, es wäre besser gekommen, wenn man das oder das vor Jahren anders gemacht hätte. Es ist natürlich sinnlos.« »Ich werde vor allem Rais Briefe noch einmal lesen, weil ich herausbekommen möchte, ob es stimmt, was ich denke: daß er sterben wollte.«
»Wenn du die Briefe durchsiehst, bitte wirf keinen weg, der von Schurbigel ist, keinen einzigen der Briefe, die andere Leute an Rai geschrieben haben.«
»Nein, nein, ich werde nichts wegwerfen; ich will nur genau wissen, was mit Rai war. Du weißt, Vater hätte sogar erreichen können, daß er nicht zum Militär brauchte, er hätte ihm sogar den Krieg ersparen können, ich bin sicher. Vater hatte mit hohen Heeresstellen zu tun Ȭ aber Rai wollte nicht. Er wollte nicht auswandern, wollte nicht vom Militär befreit werden, obwohl er nichts auf der Welt so haßte wie Militär Ȭ manchmal meine ich, er wollte sterben. Das denke ich oft, und das ist wohl einer der Gründe, warum ich meinen Haß auf diesen
Weitere Kostenlose Bücher