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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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Großmutter nach der Ursache dieses Ansteigens, denn er hatte Angst vor ihr und wollte Interesse heucheln, und sie begann mit einer lang Ȭ atmigen, begeisterten Erklärung, sprach von Zeltlagern, Mas Ȭ senversammlungen, Veranstaltungen, Parteitagen und zeigte zum Schluß triumphierend mit ihrem langen, ein wenig gelblichen Zeigefinger auf das Jahr 1939, wo es wieder einen Aufwärtsruck gab. »Wo immer Kriege von Deutschen geführt werden, sind sie mit steigenden Produktionsziffern in der Marmeladeindustrie verbunden«, sagte sie. Hatte sie sich bis zum Jahre 1913 durch die Geschäftspapiere durchgewühlt und dem Jungen das
    »Notwendigste« erklärt, rief sie die Geschäftsführung an, und der kleine, rotlackierte Lieferwagen mußte einige Male hin Ȭ und herfahren, um die vierzig Jahrgänge wieder abzuholen. Der Dachdecker war inzwischen längst vergessen, die Zinkwannen blieben auf dem Speicher stehen, und jeder Regen wurde zu einem großartigen monotonen Konzert. Aber auch die Fenster waren beschädigt, und im Keller stand monatelang Wasser, weil die Pumpe defekt war. Wenn Bolda große Wäsche hielt, stieg das Wasser im Heizungskeller aus einem schmalen, auszementierten Schacht; Seife und Schmutz bildeten ein glitschiges Sediment, das den Zementboden wie grünlichweißer Schimmel bedeckte. Faulig roch es, und der Geruch der Kartoffeln, die in den Lattenkisten keimten, zog die Ratten an.
    Albert hatte nichts davon gewußt. Er entdeckte die Ratten, als er nach langer
    Zeit einmal wieder in den Keller stieg. Nach einem langen Streit mit Nella wollte er in der großen Kiste nach den Briefen suchen, die Rai ihm nach London geschickt hatte: Er wollte beweisen, daß er nicht auf Rais, sondern auf Nellas Veranlassung zurückgekommen war. Albert ging sonst nie in den Keller, und er erschrak, als er sah, wie schmutzig alles war: Verstaubte Kisten standen herum, Lumpen lagen in den Ecken, und neben dem Eingang zur Waschküche stand ein halber Sack verschimmelten Mehls, von dem ein paar Ratten weghuschten, als Albert Licht anknipste. Er hatte Angst vor Ratten,
    als er die schwarzen Schatten durch den Keller huschen sah. Er warf ein paar
    Stücke Koks hinter ihnen her, bezwang sich und ging langsam zu der großen, braunen Holzkiste durch, die unter der Gasuhr stand.
    Rai hatte nur wenige Briefe geschrieben, vielleicht zehn, aber er wußte, daß er
    sie mit einer Hanfschnur umwickelt und in dieser Kiste versteckt hatte. Der Packen, der Nellas Briefe enthielt, war umfangreicher, und Leens Briefe füllten zwei Schuhkartons. Schwärzlicher Staub und Mäusedreck hatte sich zwischen alle Papiere gesetzt. Es war still im Keller, und er hatte Angst vor den Ratten. Im deutschen Militärgefängnis von Odessa waren sie ihm nachts übers Gesicht gehuscht, er hatte die weichen haarigen Bäuche gespürt und war über seine eigenen Schreie erschrocken gewesen. Er riß die dreckigen Papierbündel aus der Kiste und fluchte leise über Nellas und der Großmutter Schlamperei. Aus der Ecke, aus dem kleinen Raum, in dem leere Kisten und Mar Ȭ meladeneimer abgestellt waren, hörte er plötzlich hastiges Rumpeln, blechernes Gerolle. Er ging in die dunkle Ecke hinein, öffnete die Lattentür und schleuderte voll Haß und Wut in den dunklen Keller hinein, was ihm unter die Hände kam: einen Besenstiel, einen zerbrochenen Blumentopf und die Kufen von Martins Schlitten, und als der Lärm, den er verursachte, vorüber war, blieb es still.
    Die Kiste enthielt auch seine eigenen Briefe, die er vor dem Krieg und während
    des Krieges an Nella geschrieben hatte, und jetzt, wo er darin herumwühlte Ȭ zum erstenmal seit zehn Jahren Ȭ , beschloß er, alles noch einmal zu lesen. Gewiß lagen auch noch Gedichte von Rai dazwischen, Briefe von Absalom Billig Ȭ und was er vor allem suchte Ȭ , Briefe von Schurbigel, Briefe, die Rai mit Kommentaren versehen hatte: Briefe aus dem Jahre 1940, in denen Schurbigel den Sieg über Frankreich gefeiert und in Zeitungsartikeln die deutsche Jugend aufgefordert hatte, mit der Dekadenz dort drüben aufzuräumen. Auch Prosastücke von Rai würden sich noch finden und viele Briefe von ihm aus der Zeit vor dem Krieg.
    Jetzt nahm er nur Rais Briefe, ein kleines Päckchen, nahm Nellas Briefe Ȭ und er stockte, als er einen großen Karton sah, auf dem rötlich Ȭ braun Sunlight gedruckt war. Er zog den großen Karton, der den halben Boden der Kiste bedeckte, heraus. Er schlug ihn gegen die Wand, um den Dreck zu entfernen,
    den

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