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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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müde, um das Ganze zu erzählen, »nun, der Hauptmann redete uns zu, weil er Angst vor Gäseler hatte, und erklärte uns, daß wir wegen Befehlsverweigerung sicher erschossen würden, wenn Gäseler die Sache zum Bataillon gab, daß wir aber, wenn wir den Spähtrupp ausführten, doch Chancen hätten, herauszukommen. Wir gaben nach, und das ist das Schreckliche, wir hätten nicht nachgeben dürfen, aber wir taten es, weil alle so nett und so vernünftig waren, sie gaben uns Ratschläge, Unteroffiziere und Soldaten, und wir spürten eigentlich zum ersten Male, daß sie uns ganz gern hatten. Das war das Schrecklichste, sie waren nett zu uns, und wir hatten nachgegeben, und wir machten den Spähtrupp, und Rai wurde getötet, und eine halbe Stunde später war die halbe Kompanie gefangen oder tot, weil die Russen in dem Nest sehr zahlreich waren, und es gab eine kopflose Flucht, auf der ich gerade noch Zeit fand, Gäseler in die Fresse zu schlagen, denn Rai war tot, und es kam mir so sinnlos vor, Rais Tod durch eine
    Ohrfeige gerächt zu haben, eine teure Ohrfeige, denn ich bekam ein halbes Jahr Gefängnis dafür. Verstehst du jetzt, wie es war?«
    »Ja«, sagte Bresgote, »ich versteh ȇ s, und es paßt genau zu ihm.«
    »Wir hätten nicht nachgeben sollen«, sagte Albert, »und das Schwierige ist, das, was mich krank macht, wenn ich daran denke, es hatte mit dem Krieg nichts zu tun, es war ein persönlicher Haß, weil Rai gesagt hatte: >Haben wir Brüderschaft miteinander getrunken<, und Rai haßte ihn. Wir hatten uns«, sagte Albert lebhafter, »wir hatten uns angewöhnt, alle neu auftauchenden Vorgesetzten präzise zu katalogisieren, Rai tat es, und seine Gäseler Ȭ Charakteristik hatte gelautet: Abitur gut. Katholisch. Will Jura studieren, hat aber kulturelle Ambitionen, korrespondiert mit rechtsstehenden Mönchen. Krankhaft ehrgeizig.«
    »Mensch«, sagte Bresgote, »man sollte doch wohl hin und wieder Gedichte
    lesen. Diese Charakteristik ist großartig. Und ich sage dir, er ist es. Wir brauchen das Bild gar nicht mehr.«
    »Ich glaube auch, daß wir es nicht mehr brauchen, und Rais Gedichte solltest du ruhig lesen. Er hatte nicht damit gerechnet, daß er sterben würde, er hatte nachgegeben, weil er gern leben wollte, und es war schrecklich für ihn, zu sterben und nachgegeben zu haben, einem Manne wie Gäseler gegenüber, und überall lagen die Marmeladeneimer herum mit seinen Slogans, und die Nazizeitungen hatten ihn gelobt.«
    »Welche Marmeladeneimer? Ȭ Was war mit den Nazizeitungen?«
    »Im Jahr 1935 fing Rai an, in Deutschland bekannt zu werden, eine Reihe von Leuten förderten ihn, weil es so völlig ungefährlich war, ihn zu fördern. Seine Gedichte hatten keine direkt politischen Gegenstände, aber wer sie zu lesen verstand, wußte, was er meinte. Schurbigel entdeckte ihn, und die Nazis konnten wunderbar Reklame mit seinen Gedichten machen, weil sie so ganz anders waren als der penetrante Dreck, der aus ihren Firmen kam; sie konnten damit hausieren gehen und beweisen, daß sie nicht einseitig seien. So geriet Rai in die fürchterliche Situation, von den Nazis gelobt zu werden. Er veröffentlichte keine Gedichte mehr, schrieb auch nur wenige, und er nahm eine Stelle in seines Schwiegervaters Fabrik an. Zuerst machte er ȇ s allein, Farbskalen, aus denen zu entnehmen war, wer wo welche und
    wieviel Marmelade aß. In diese Arbeit vertiefte er sich, und er studierte
    kulinarische Bezüge der einzelnen Landschaften und verbrauchte Rot in allen Schattierungen, um laufend die Angaben der Verkaufsabteilung ordnungsgemäß einzutragen. Wenn Parteitag in Nürnberg war, irgendwo ein Nazitreffen, ging eine ganze Tube Rot drauf, und später, als ich aus England zurück war, machten wir zusammen Plakate und Slogans, die wir dann im Krieg auf den Marmeladeneimern wiederfanden. Und Rai blieb, ohne daß er wollte, berühmt, denn sie kramten seine Gedichte heraus, veröffentlichten sie, obwohl er ihnen schrieb, er wolle es nicht. Er war rasend und ganz krank.«
    »Schurbigel«, sagte Bresgote, »du kennst ihn von früher?«
    »Ich kenne ihn«, sagte Albert, »warum?«
    »Hältst du ȇ s für möglich, daß sie mit diesem Gäseler etwas anfängt?«
    »Nein«, sagte Albert, »übrigens weiß sie, wer er ist.« »Wieso?«
    »Sie machte so merkwürdige Andeutungen, als sie wegfuhr.«
    »Wo ist sie mit ihm hin?« »Nach Brernich, zu einer Tagung.«
    »Ach Gott«, sagte Bresgote, »am liebsten möchte ich hinfahren.«
    »Laß

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