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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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breiter Gang frei. Und vorne standen noch eine Couch, ein Schrank, Sessel und ein Tischchen mit dem Telefon.
    Albert öffnete den Schrank, nahm Gläser und die Kognakflasche und setzte beides auf den Tisch.
    Bresgote hatte sich schon gesetzt und rauchte. Haus und Garten, die ganze Umgebung strömte Ruhe aus, konzentrierte Stille, wie er sie lange nicht mehr genossen hatte. Er fühlte sich wohl, und er freute sich darauf, mit Albert über Nella zu sprechen. Er stand auf, während Albert einschenkte, ging zum Fenster, öffnete es, von weit her drangen die Stimmen lachender Kinder herein, und aus diesem fernen Geschrei war herauszuhören, daß die Kinder mit Wasser spielten. Er ging zurück, setzte sich wieder Albert gegenüber und nahm einen Schluck aus dem Glas. »Ich fühle mich sehr wohl hier«, sagte Bresgote, »und ich werde so lange hierbleiben, bis du mich rausschmeißt.« 185
    »Bleibe nur«, sagte Albert.
    »Ich muß nur später einmal die Redaktion anrufen, so gegen vier.«
    »Kannst du ja von hier aus.«
    Er beobachtete Bresgotes Gesicht und erschrak, als er plötzlich wieder jene verbissene Verlorenheit darin entdeckte, die an Scherbruder erinnerte, der sich vor zwanzig Jahren Nellas wegen erschossen hatte. Nella, die im BDM Kulturabende veranstaltet hatte, war mit Scherbruder befreundet gewesen, der eine der ihren ähnliche Funktion in der Hitler Ȭ Jugend ausübte. Er war einundzwanzig Jahre alt, hatte gerade die Lehrerakademie absolviert und seine erste Stelle als Junglehrer in einem ländlichen Vorort angetreten. In einem Wäldchen, das ein geschleiftes Fort umgab, hatte er prompt eine Rieseneiche ausfindig gemacht, um die herum er einen Kreis wegroden ließ. Das nannte er Thingplatz, und dort spielte er mit seinen Jungen, sang mit ih Ȭ nen. Scherbruder war schwarzhaarig und schmal, sah fast wie ein Zigeuner aus, und man konnte ihm vom Gesicht ablesen, daß er seine rechte Hand für blonde Haare gegeben hätte. Nella hatte hellblondes Haar. Sie sah genau aus wie die Frauen in den Rassebüchern, nur weniger langweilig. Scherbruder hatte Rai und Albert bei der SA angeschwärzt, die in dem Fort bei Scherbruders Thingplatz ein kleines, fast privates KZ unterhielt; dort hatte man sie drei Tage lang eingesperrt, verhört und geschlagen, und manchmal träumte er noch davon, von den dunklen Innengängen der Kasematten, die vom Schrei der Gequälten widerhallten, und auf dem Betonboden waren Spuren verspritzter Suppe und verspritzten Blutes, und abends der Gesang der betrunkenen SA Ȭ Leute, die ihnen beim Kartoffelschälen zusahen, und wenn es für einige Augenblicke still wurde, kam von draußen der Gesang von Scherbruders Jugendgruppe: »Die blauen Dragoner, sie reiten.«
    Sie waren nur drei Tage in diesem Fort gewesen, denn Nellas Vater, der die
    großen Zeltlager der Hitlerjugend mit Marmelade versorgte, bekam sie frei. Sie hatten begriffen, daß es Nellas wegen geschehen war, aber Nella äußerte sich nie darüber, was zwischen ihr und Scherbruder gewesen war.
    Auch später, als sie wieder frei waren, gab Scherbruder Nella nicht auf, und
    sie begegneten ihm ein paarmal in Hähnels Eissa Ȭ
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    Ion. Er hatte den Ausdruck verbissener Verliebtheit auf Scherbruders Gesicht nicht vergessen, denselben Ausdruck, den jetzt Bresgotes Gesicht zeigte.
    »Trink noch einen«, sagte er zu Bresgote. Bresgote goß sich ein und trank.
    Scherbruder erschoß sich dann nach der Sonnenwendfeier in der Nacht zum
    22. Juni draußen auf seinem Thingplatz. Zwei Jungen fanden ihn. Sie waren morgens zum Thingplatz gegangen, um aus der Holzkohlenglut das Feuer neu zu entfachen und den Rest des Holzes zu verbrennen. Blut war aus Scherbruders Kopfwunde über die dunkelblaue Uniformbluse geflossen, und das Tuch hatte eine violette Färbung angenommen. Bresgote füllte sich sein Glas zum dritten Male. »Es ist so dumm«, sagte er heiser, »in meinem Alter noch so heftig verliebt zu sein, aber ich bin ȇ s, und ich komme nicht dagegen an.« Albert nickte. Er dachte an etwas anderes: an Absalom Billig, der wenige Monate nach Scherbruders Selbstmord in dem finsteren Fort zu Tode gemartert worden war, und es fiel ihm ein, wieviel er vergessen hatte und daß er dem Jungen das Fort noch nie gezeigt hatte, in dem auch sein Vater drei Tage lang gequält worden war.
    »Erzähl mir von ihr«, sagte Bresgote.
    Albert zuckte die Schultern. Würde es Sinn haben, Bresgote klarzumachen, wie labil Nella war? Solange Rai lebte, war sie vernünftig

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