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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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Kirche auf, kniete zum Altar hin nieder und wandte
    sich um ins Mittelschiff hin. Er war noch nie außerhalb des Gottesdienstes hiergewesen, und die Leere des großen Raumes erschreckte ihn. Alles war still Ȭ er sah Boldas Eimer mit Lauge neben einer Säule stehen, den Schrubber an die Säule gelehnt, und entdeckte Bolda erst jetzt: Sie wischte Staub von den gotischen Verzierungen des Beichtstuhles. Jetzt hatte sie seine Schritte gehört, sich umgewandt, stieß einen unverständlichen Ruf aus und kam auf ihn zu. Er traf an der Kommunionbank mit ihr zusammen, und auch von ihrem Gesicht konnte er ablesen, wie sein Gesicht aussah.
    »Mein Gott«, sagte sie, »was ist denn los?«
    »Der Junge ist noch nicht aus der Schule zurück. Er war zu Hause, lief dann wieder weg.«
    »Sonst nichts?«
    »Nein.« Es reizte ihn, wie laut sie sprach, aber auch seine Stimme, die er unbewußt gesenkt hatte, klang lauter als erwartet.
    »Nein«, sagte er noch einmal; »aber genügt das nicht?« Bolda lächelte. »Er
    wird schon kommen. Ihm ist nichts passiert. Er ärgert sich manchmal, wenn niemand da ist. Er kommt bestimmt.« Sie lächelte wieder und schüttelte den Kopf. »Sei doch vernünftig«, sagte sie.
    Er war erstaunt, sie so freundlich und sanft zu hören. Er hatte nicht gewußt,
    daß sie so sein konnte, und wohnte doch schon sieben Jahre mit ihr zusammen. Er fand sie fast schön: Ihre Hände waren klein und zart Ȭ er sah es jetzt zum erstenmal. Das gelbe, wollige Staubtuch in ihrer Hand war ganz neu, es trug noch ein Etikett, angeleimter Papierfetzen mit einem schwarzen Raben darauf.
    »Bestimmt«, sagte sie lächelnd. »Reg dich nicht auf.«
    »Meinst du?« sagte er.
    »Natürlich«, sagte sie, »geh nur ruhig nach Hause. Er wird schon kommen.« Sie wandte sich halb um, lächelte ihm ermunternd zu, drehte ihm dann den Rücken und ging zum Beichtstuhl zurück.
    »Wenn er kommen sollte, schick ihn gleich«, sagte er.
    Sie wandte sich noch einmal, nickte und ging weiter. Er ging zur Sakristeitür, kniete zum Altar hin und ging durch die Sakristei wieder hinaus.
    Er wußte nicht, wo er noch hätte nachschauen können. Er fuhr den Weg, den
    er gekommen war, langsam wieder zurück und spürte, wie er ruhiger wurde. Boldas Zuversicht hatte auf ihn gewirkt.
    Bresgote hatte schon Kaffee gekocht, auch den zweiten Pfannkuchen
    gebacken. »Sieh ihn dir an«, sagte Bresgote und nahm eine Zeitung, die auf der Anrichte lag. Albert sah sofort, daß es Gäseler war; es war ein hübsches, dunkles Gesicht. »Ja«, sagte er müde, »er ist es.«

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    Während sie den Taxichauffeur bezahlte, sah sie schon Gäseler vor dem Eingang zur Vertrauensbank stehen: einen schlanken, eleganten jungen Mann zwischen den beiden Bronzefiguren, die den Eingang flankierten. Links stand ein Bronzemann mit Aktentasche, rechts einer mit einer Maurerkelle, und die beiden schienen sich zuzulächeln, Bronzelächeln über ein dekoratives

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    Glasfenster hinweg, das von innen angestrahlt war. Neonröhren verstärkten
    die Transparenz, stachen dunkle Blumen heraus, Räder, eine Waage, und deutlich zu lesen, von Blumen, Rädern, Wagen und Ähren umrandet, schneeweiß die Worte: »Vertrauensbank — sicher.« Das Sicher war dreimal so groß wie Vertrauensbank, und Gäseler stand zwischen dem Mann mit der Kelle und dem Mann mit der Aktentasche, genau unter denn von sicher.
    Gäseler blickte auf seine Armbanduhr, und Nella, der der Taxichauffeur Geld
    in die offene Hand zählte, sehnte sich plötzlich nach Martin, nach Albert, Glum, der Mutter und Bolda, sie suchte vergebens den Haß auf Gäseler, spürte etwas anderes, Fremdes, kalt und unheimlich: Langeweile. Helles, flaches Licht lag über allem: stümperhaft eingestellte Scheinwerfer, auf den langweiligen jungen Mann gerichtet, der jetzt zwischen dem Mann mit der Kelle und dem mit der Aktentasche hin und her ging, zwischen dem i und dem c von sicher. »Ja«, sagte der Chauffeur, »steigen Sie nun aus oder nicht, junge Frau?«
    Sie lächelte den Chauffeur an und heilte den Mißmut auf seinem Gesicht:
    kostenlose Muskelbewegung, und er sprang auf, lief um das Auto herum, öffnete ihr die Tür, reichte ihr den Koffer hinaus.
    Gäseler drüben blickte wieder auf seine Armbanduhr: Ja, es war sieben
    Minuten über die Zeit, und sie schloß die Augen, um das helle Licht nicht zu sehen: Film ohne Dämmer, Film ohne Stimmung, der eben anlief.
    »Ach, liebe Nella, ich freue mich, daß Sie gekommen sind.« Druck

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