Hausbock
gelesen, dass heute
auch das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege die Gelegenheit nutzte, um für
seine Sache zu werben. Ein Experte gab eine kleine Spezialführung, in der es um
den fachgerechten Erhalt von jahrhundertealtem Dachgebälk ging. Morgenstern
konnte nur hoffen, dass Fiona sich nicht in derlei Details verrannte, sondern
sich einfach ein bisschen umschaute. Und ihm selbst wäre es am liebsten
gewesen, sie würde angesichts der Herkulesaufgabe einer Haussanierung alle
Illusionen über Bord werfen. »Dachgebälk-Erhalt«, muffelte Morgenstern leise.
Wann um alles in der Welt hatte er sich jemals mit der Dachkonstruktion eines
Hauses beschäftigt?
Im kühlen Hausflur stand verwaist ein Tisch mit einem Tablett voller
Sektgläser für die Besucher. Morgenstern nahm sich ein Glas, blickte sich kurz
um, ob ihn jemand beobachtete, und trank es dann in einem Zug aus. Von oben
hörte er Stimmen, da würde auch Fiona mit den Kindern sein. Er stieg eine
knarzende, ausgetretene, völlig verstaubte Holztreppe hoch, dann eine weitere Treppe
bis unters Dach. Staunend sah er, dass hier eine Gruppe von rund dreißig
Besuchern versammelt war. Dicht gedrängt in einem niedrigen, aber großen
Speicher. Das Dach war nach oben offen: Die Handwerker hatten die alte
Legschiefereindeckung bereits abgenommen, ebenso die Dachlattung und die
Bretter, sodass nur noch das reine Gebälk stand. Darüber spannte sich mit einem
Abstand von etwa einem Meter eine aufwendige Schutzdachkonstruktion aus
Eisenrohren und einer dunkelgrünen Kunststoffplane.
Die Besucher umringten einen Mann, der in der Mitte des Speichers
stand und mit volltönender Stimme dozierte. Das musste der Experte sein.
Morgenstern stellte sich auf die Zehenspitzen. Er sah einen korpulenten Mann
mittlerer Größe, etwa fünfzig Jahre alt, mit blondgrauem, vollem Haar und einem
ebenfalls grauen Schnauzbart. Er trug einen Trachtenjanker, ähnlich dem des
Tittinger Bürgermeisters, dazu eine dunkelbraune Cordhose.
Nun entdeckte er auch Fiona, allerdings ohne die Kinder, die vermutlich
irgendwo im Freien herumtollten oder auf eigene Faust überprüften, ob die
Baustelle den Anforderungen in puncto Unfallschutz entsprach. Fiona hörte dem
Schnauzbart konzentriert zu. Es ging gerade um die Frage, wie viel von der
alten Balkensubstanz gegen neues Material ausgetauscht werden durfte. Soweit
Morgenstern das verstand, mussten morsche, verfaulte, vom Holzwurm zerfressene
Stellen von den Zimmerern mit chirurgischer Präzision ersetzt werden –
aber nicht die gesamten Balken, sondern nur die lädierten Abschnitte.
»Wenn Sie Kniebeschwerden haben, wollen Sie auch keine Beinamputation,
sondern nur ein neues künstliches Gelenk«, sagte der Referent. Einige im
Publikum kicherten zustimmend.
»Aber ist das nicht alles sehr teuer?«, meldete sich Fiona zu Wort.
»Ach, die leidige Geldfrage.« Der Denkmalpfleger lächelte. »Natürlich
wird das teurer, als wenn Sie sich einen Nullachtfünfzehn-Dachstuhl auf Ihr
Haus zimmern lassen. Aber diese Balken hier, sehen Sie nur, sie atmen
Geschichte. Wir haben über die Dendrochronologie ihr Alter präzise bestimmen
lassen: Die Bäume für diesen Dachstuhl wurden im Jahr 1497 gefällt, kurz nach
der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus. Die kann man doch nicht
einfach wegwerfen, nur weil sie an einer Stelle Schaden erlitten haben.«
»Na ja, das sind aber schon sehr viele schadhafte Stellen«, beharrte
Fiona und zeigte auf den dunkelbraunen Dachstuhl, in den wie in einem
Puzzlespiel Stücke aus neuem, hellem Fichtenholz eingepasst waren. »Wer kann
sich so etwas leisten?«
Der Denkmalpfleger deutete mit dem Finger auf Fiona. »Sie ahnen gar
nicht, wie oft wir solche Fragen hören. Es gibt natürlich Zuschüsse für
derartige Renovierungen – wenn auch nicht in dem Umfang, wie wir alle uns
das wünschen würden.« Der Mann lächelte wieder. »Insgesamt ist eine Renovierung
wie diese eine Sache, die gut überlegt sein will. Es gibt da immer
Unwägbarkeiten, die vorher nicht zu kalkulieren sind. Aber am Ende haben Sie
ein Schmuckstück, um das Sie viele Menschen beneiden werden. Und Sie haben ein
Stück Geschichte für die Nachwelt bewahrt.«
Morgenstern sah, wie Fionas Mundwinkel nach unten gingen – die
Sache mit der Nachwelt hatte sie anscheinend weniger beeindruckt als die
Warnung von einem finanziellen Ritt über den Bodensee. Er registrierte es mit
stiller Genugtuung. Was der Mann vom Landesamt gesagt hatte, war Wasser
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