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Hausbock

Hausbock

Titel: Hausbock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Auer
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gewohnt, als ich es daheim nicht
mehr ausgehalten habe.«
    »Und dann haben Sie es da auch nicht mehr ausgehalten?«, fragte
Morgenstern.
    »Ich möchte mal wissen, was Sie das alles angeht.«
    »Ich will mir nur einen kleinen Überblick verschaffen. Werden Sie
länger bleiben?«
    Raphaela sah ihn von der Seite an und wirkte auf Morgenstern zum
ersten Mal unsicher. »Ich weiß es noch nicht. Ich muss erst sehen, wie es da
jetzt ist. Damals, als ich noch dort gewohnt habe, war es eine schöne Zeit. Nur
das Ende nicht.«
    »Wo ist Raitenbuch eigentlich?«, fragte Morgenstern.
    »Sie kennen das nicht? Das ist nordwestlich von Titting. Auf der
Jurahochfläche. Auf Weißenburger Gebiet.«
    »Dann ist das ja schon Franken«, stellte Morgenstern, der gebürtige
Nürnberger, erfreut fest.
    »Die WG ist in einem kleinen alten
Bauernhof, den Andi von seiner Oma geerbt hat.«
    »Ein Jurahaus?«, fragte Morgenstern. »Mit Legschieferdach und so?«
    »Sogar mit Fensterläden, wenn Sie es genau wissen wollen. Und mit
einem Stadel und einem leeren alten Kuhstall.«
    »Meine Frau sucht nach einem Jurahaus«, sagte Morgenstern zur Erklärung,
auch im Bemühen, dem Gespräch eine persönliche Note zu verleihen.
    »Ihre Frau? Und Sie nicht?«
    Raphaela hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Morgenstern wurde
einen Moment lang rot.
    Unaufgefordert sprudelte es aus Raphaela Ledermann heraus: »Bei uns
war es genau umgekehrt, da war das Haus nur Sache meines Vaters. Sein Projekt,
sein Heiligtum. Ich durfte noch nicht einmal einen einzigen verdammten Nagel in
die Wand schlagen, um ein Bild aufzuhängen. Ein Poster aus der ›Bravo‹ mit
Tesafilm übers Bett zu kleben, das ging überhaupt nicht. Erstens war die ›Bravo‹
für ihn Teufelszeug. Und zweitens hätte der Tesa ja die sieben Lagen seiner
Kalkfarbe beschädigen können oder gleich das ganze Haus zum Einsturz bringen.«
    Sie schwieg, weil ihr offenbar bewusst wurde, dass genau das eingetreten
war. Das Haus war eingestürzt, wenn auch bestimmt nicht wegen eines harmlosen
Tesastreifens an der Wand eines Mädchenzimmers. Oder vielleicht doch?
    Morgenstern hatte irgendwo einmal über kleine Ursachen und ihre
angeblich globalen Auswirkungen gelesen: Da war die Rede davon gewesen, dass
der Flügelschlag eines Schmetterlings im brasilianischen Regenwald sich am
anderen Ende der Welt zu einem Wirbelsturm auswachsen könnte. Er hatte das für
Humbug gehalten, diese sogenannte Chaostheorie. Aber vielleicht war im
Anlautertal etwas in dieser Art geschehen: kleine, harmlos scheinende
Frustrationen, die sich im Laufe der Zeit zu einem Hurrikan der Gefühle
hochgeschaukelt hatten bis zur gewaltsamen Explosion. Raphaela Ledermann, ein
Schmetterling mit mächtigen Flügeln? Er sah sie an, wie sie neben ihm stand,
schwarz gekleidet und blass geschminkt. Eher ein Nachtfalter, eine Motte.
Morgenstern beschloss, sie im Auge zu behalten, und ließ sich die Adresse der WG geben.
    »Glauben Sie, dass ich etwas mit dem Tod meines Vaters zu tun
habe?«, fragte Raphaela geradeheraus.
    »Ich möchte nur wissen, wo wir Sie erreichen können«, antwortete
Morgenstern ausweichend.
    Raphaela schaute ihn geringschätzig an. »Ihr Bullen seid alle
gleich. Ihr geht nur nach Äußerlichkeiten. Jemand hat ein Piercing – dann
ist er schon verdächtig. Jemand trägt eine schwarze Lederjacke – dann legt
er bestimmt auch Bomben. Jemand schminkt sich weiß – dann feiert er auf
dem Friedhof schwarze Messen. Jemand wohnt in einer WG – dann hat er ein Drogenproblem.«
    »Dann fahren Sie mal schön nach Raitenbuch«, sagte Morgenstern. »Und
ich überprüfe die Sache mit den schwarzen Messen.«
    »Das ist nicht Ihr Ernst?«
    »Mein heiliger Ernst.« Morgenstern schaute absichtlich besonders
grimmig. »Ich wohne schließlich im katholischen Eichstätt. Der Bischof versteht
bei solchen Sachen keinen Spaß.«
    Raphaela sah ihn zweifelnd an, dann sagte sie: »Rutscht mir doch
alle den Buckel runter.«
    Die beiden Kommissare warteten, bis die Tochter des Amtsrichters mit
ihrem Wagen weggefahren war, dann gingen sie noch einmal in die Klinik zurück.
Dr. Hagedorn hatte ihnen bei der Identifizierung der Leiche zugeraunt, er
wolle noch mit ihnen sprechen. Als sie in den Keller kamen, hatte er den
Leichnam zu Morgensterns Erleichterung bereits wieder zurück in ein Kühlfach
geschoben. Der Mediziner saß an einem Schreibtisch und trank mit einem
Strohhalm in aller Seelenruhe Erdbeermilch aus einem Tetra-Pak. Irgendwie

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