Hausbock
fand
Morgenstern das schlürfende Sauggeräusch für Hagedorns Arbeitsplatz
unangemessen, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den tiefgekühlten Verstorbenen.
Der Mediziner ließ sich vom Kommen der Ermittler nicht beirren und
schlürfte die Packung mit atemberaubenden Geräuschen leer.
»Unschön, nicht wahr?«
»Klingt für mich ziemlich vampirmäßig«, sagte Morgenstern.
»Wie bitte?«
»Ihr Strohhalm.«
»Ach so. Nein, ich meinte die Verletzung von Dr. Ledermann.
Unschön.«
»Was haben Sie herausgefunden?«
»Was Sie vermutlich interessieren wird, ist der Todeszeitpunkt. Wir
können ihn auf die Zeit zwischen ein Uhr dreißig und zwei Uhr dreißig Uhr
eingrenzen. Zur Todesursache lässt sich sagen: Dieser entsetzliche Hieb ist
tatsächlich die einzige Verletzung. Es gibt keine Spuren, die auf einen Kampf
hindeuten, leider auch keine DNA -Spuren unter den
Fingernägeln oder andere verwertbare Spuren, obwohl die Hände, auch die Knie,
voll Blut waren. Es ist ausschließlich sein eigenes.«
»Wir haben eine Blutspur entdeckt«, sagte Morgenstern. »Sie führte
vom Hauseingang hinaus ins Freie. Dort hat man die Leiche gefunden.«
»Das deckt sich mit exakt mit meinen Ergebnissen. Dieser Hieb, so
schrecklich er auch war, tötete den Mann nicht sofort. Das menschliche Gehirn,
seine Reflexe, sind ein Mysterium. Der Mann schien für den Angreifer tot. Aber
er war möglicherweise nur bewusstlos und schaffte es später noch, sich ins
Freie zu schleppen. Alles deutet darauf hin.«
Morgenstern dachte kurz an den hanseatischen Seeräuber Klaus Störtebeker,
der der Legende nach noch mit abgeschlagenem Kopf ein Stück weit rennen konnte.
Der Säbel fiel ihm ein.
»Was war denn nun die Waffe, Herr Hagedorn?«
»Die Waffe? Das Tatwerkzeug? Ich habe die Wunde exakt vermessen.
Hochinteressant übrigens.« Hagedorn hielt immer noch seine leere
Erdbeermilchpackung in der linken Hand und versuchte nun, auch noch den allerletzten
Tropfen herauszusaugen. Wieder gab es das zischend-schlürfende Geräusch, das
Morgenstern jetzt eine Gänsehaut verursachte.
»Nun, bei genauer Betrachtung denke ich da in der Tat an ein
Werkzeug. Ein Gartenwerkzeug, als einstweilige Arbeitshypothese könnten Sie
sich einen Spaten vorstellen.«
»Einen Spaten?«, fragten Hecht und Morgenstern wie aus einem Mund.
»Ja. Einen kurzen Spaten. Mit großer Wucht geschlagen. Es gibt dafür
klare Indizien: Ich habe tief in der Wunde winzige Spuren von Erde gefunden.«
Morgenstern durchfuhr ein Schauer, als er sich vorstellte, wie die
tödliche Waffe auf Rupert Ledermanns Kopf niedergefahren war.
»Ein Gartengerät«, sagte Hecht. »Der Mörder ist immer der Gärtner.«
»Wir müssen mit den Leuten vom Amtsgericht Weißenburg reden«, sagte
Peter Hecht, als sie am Nachmittag mit ihren Kaffeetassen in Morgensterns Büro
saßen. »Wir müssen herausfinden, welche Problemfälle Ledermann in den letzten
Jahren bearbeitet hat. Irgendwie muss er sich seinen Ruf schließlich verdient
haben.«
»Meinst du, das geht telefonisch?«
»Du kennst meine Ansicht: Besser ist es, solche Dinge von Angesicht
zu Angesicht zu klären. In Weißenburg könnten wir auch gleich die Akten
einsehen, falls es irgendwelche Dinge gibt, die nicht ganz koscher waren.«
Hecht suchte im Netz die Telefonnummer des Amtsgerichts und ließ
sich mit dem Amtsleiter verbinden. Sie könnten jederzeit noch heute
vorbeikommen, erfuhr er. Das ganze Gericht sei bestürzt über den Tod von Dr. Ledermann,
und alle würden bei den Ermittlungen nach Kräften mithelfen.
Hecht druckste ein bisschen herum. »Es gibt da wohl ein paar Fälle,
in denen Dr. Ledermann besonders streng geurteilt hat.«
»Hat sich das schon bis zu Ihnen nach Ingolstadt herumgesprochen?«
»Na ja, wir haben am Rande was läuten hören von wegen ›Richter
Gnadenlos‹. Ich dachte aber immer, der Titel sei bereits vergeben.«
»Da gibt es in Deutschland immer ein paar, die Anspruch darauf
erheben. Nun gut, ich suche Ihnen einige Unterlagen zusammen.«
»Also, auf geht’s nach Weißenburg«, sagte Hecht, nachdem er aufgelegt
hatte.
»Und auf dem Weg dorthin schauen wir noch mal bei der Schwarzmühle
vorbei«, entschied Morgenstern. »Vielleicht hat unser Brandfahnder schon etwas
gefunden.«
Es war ein herrlicher Sommertag; über fünfundzwanzig Grad warm,
wolkenloser Himmel. Die beiden Ermittler fuhren auf der Autobahn von Ingolstadt
nach Norden. Vorbei an der Petroplus-Raffinerie mit ihren riesigen, runden
weißen
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