Hausbock
Vorwurfsvolles.
»Meinst du, ich kriege jeden einzelnen kleinen Fall mit?«, maulte
Morgenstern zurück. »Da hätte ich was zu tun, wenn ich die ganze Zeit am
Flurfunk hängen würde. Nur für den Fall, dass du es vergessen hast: Ich habe
gerade einen Mordfall zu klären.«
Er kam in Fahrt. »Meine Güte: So leicht wie die Kollegen müsste ich
es mal haben! Da lässt dieser Postler die geplünderten Briefkuverts bei sich
daheim rumliegen. Dümmer geht’s nimmer. Da kann man leicht einen
Fahndungserfolg haben.«
Morgenstern brummelte noch ein bisschen vor sich hin und nippte
bärbeißig an seiner Kaffeetasse. Dennoch nahm er sich vor, am Vormittag bei dem
Kollegen vorbeizuschauen, der den Postbotenfall geklärt hatte, und Fiona mit
ein paar Informationen eine Freude zu machen. So viel Indiskretion durfte schon
mal sein.
Er stand schon in der Tür, als ihn Fiona noch mal aufhielt. »Du,
wegen unseres Hauses.«
»Ja?«
»Hast du was dagegen, wenn ich mich ein bisschen wegen Denkmalschutzauflagen
schlaumache? Du weißt schon: Nicht dass wir uns da ein Ei ins Nest legen.«
Das Haus. Morgenstern hatte den ganzen Morgen noch nicht daran
gedacht. In der Nacht allerdings, das fiel ihm nun wieder ein, hatte er einen
düsteren Traum gehabt. Einen, aus dem er völlig verschwitzt, mit durchnässtem T-Shirt,
aufgewacht war.
Darin war er nachts ganz allein in dem Haus gewesen, das Fiona so
gerne kaufen wollte. Er war durch alle Zimmer gegangen, von einem zum anderen,
doch als er zurück ins Freie wollte, war ihm der Gang durch eine Armee von Käfern
und Spinnen versperrt gewesen, die sich als schwarzer, wimmelnder, ekliger
Teppich vor ihm ausbreiteten. Panisch war er zum Durchgang in die Scheune
zurückgewichen. Doch dort dröhnte ihm bereits ein markerschütterndes Knarzen
und Knacken entgegen, das Geräusch von riesigen Kauwerkzeugen, die sich durch
Holz nagten, und gerade als er nach oben zum Dachgestühl geblickt hatte, war
das schwere Steinplattendach in sich zusammengebrochen. Er war zur Seite
gesprungen, um sich neben dem hölzernen Hackstock in Sicherheit zu bringen –
und war neben seinem Bett aufgewacht, die Arme verzweifelt um das Nachtkästchen
geschlungen. Fiona hatte von alldem nichts mitbekommen. Und er selbst war kurz
danach wieder in einen fast narkoseartigen Tiefschlaf gefallen.
»Das Haus«, sagte Morgenstern und versuchte zu lächeln. »Ich habe
zurzeit einfach keinen Bock drauf.«
»Das kommt schon noch, Mike«, versprach Fiona. »Das kommt schon
noch.«
In der Direktion setzte Morgenstern seinen Vorsatz in die Tat um und
informierte sich über den diebischen Briefträger. Ein altgedienter Kollege
hatte sich darum gekümmert; in seinem Büro stapelten sich all die Sendungen,
die der Postbote zu Hause gehortet hatte. Der Mann, so erfuhr Morgenstern,
hatte sich eigens eine Apparatur gebaut, mit der er die Briefe daheim
durchleuchtet hatte. Das Gerät des Bastlers sei sichergestellt worden. Der
Postler sei voll geständig. Das Geld allerdings habe er bis zum letzten Euro in
der Münchner Rotlichtszene verjubelt.
»Jetzt darf ich jeden einzelnen Adressaten anschreiben«, stöhnte der
Kollege, und Morgenstern war sich nun nicht mehr ganz so sicher, ob er es hier
mit einem Kripo-Glückspilz zu tun hatte.
»Und ich dachte immer, bei der Post wären noch die letzten echten,
korrekten Beamten aus der Zeit des Königreichs Bayern im Dienst«, grinste er.
»Schnickschnack«, winkte der Kollege ab. »Aber korrekt war unser
Mann trotzdem. Er hat zu meinem Glück sorgfältig Buch geführt über seine Beute.
Wie ein Kommunionkind bei der Bescherung.« Er wedelte mit einem kleinen
Taschenkalender mit schwarzem Einband. »Da steht alles drin. Willst du mal
sehen?«
Er hielt Morgenstern das schmale Büchlein hin, nicht größer als ein
Geldbeutel. Morgenstern griff mehr aus Höflichkeit danach und blätterte darin
herum.
»Tadellos«, sagte er, als er die Eintragungen sah. Dann stutzte er.
Blätterte zurück, blätterte wieder vor. Sah genauer hin, und in seinem Kopf
rastete etwas ein.
»Tausend Euro, zweimal in elf Wochen«, murmelte er.
»Ja, man macht sich gar keine Vorstellung, wie unvorsichtig manche
Leute sind«, stimmte der Kollege zu. »Das waren zwei Kuverts an dieselbe
Adresse, und jedes Mal waren tausend Euro in bar drin. In zehn
Hunderterscheinen. Unglaublich.« Es schien, als könne er so viel Leichtsinn
einfach nicht fassen. »Den Namen des Adressaten kann man allerdings kaum
entziffern.
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