Hausbock
Vater war der Meinung, dass er
sein Geld mit warmen Händen ausgeben sollte. So nennt man das doch, oder?«
»Und warum hat Ihr Bruder dann nichts bekommen?«, fragte Hecht.
»Vater glaubte wohl, dass ich es nötiger habe. Aurelius ist gut im
Geschäft, soweit ich weiß.« Sie kraulte wieder ihren Hund, der folgsam neben
ihr Platz genommen hatte.
Morgenstern wünschte sich neidvoll, jemand hätte für ihn einen
solchen Dauerauftrag eingerichtet. Er dachte an den Hauskauf, den sich Fiona so
wünschte, und an seine klammen finanziellen Verhältnisse. Die ganze Sache war
auf Kante genäht. Er spürte einen Anflug von Panik. Was, wenn Fionas Traumhaus
sich zum Alptraum entwickeln würde? Zur Brutstätte von Holzwurm und Hausbock?
Als Eldorado für Pilze und Salpeter? Nachdenklich sah er die junge Frau an,
deren fünfhundert Euro ihn auf diese düsteren Gedanken gebracht hatten.
»Was ist? Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?«, fragte sie.
Morgenstern schreckte hoch. »Nein, nein, äh, ich war nur einen
Moment in Gedanken bei einem anderen Thema.«
»Welchem denn?«, fragte Raphaela frech.
»Nichts, was Sie interessieren wird. Ich habe vor, mir ein Haus zu
kaufen, ein altes Haus. Das ist alles.«
»Ein altes Haus? Denkmalschutz?«, forschte sie.
Morgenstern zuckte mit den Schultern. »Klar doch.«
»Dann wünsche ich Ihnen viel Spaß damit.« Raphaela Ledermann grinste
diabolisch.
ZEHN
Morgenstern hatte die Post bisher immer für ein grundsolides Unternehmen
gehalten. Ein bisschen langsam zwar. Sehr langsam, wenn man es genau
betrachtete. Aber doch seriös vom Scheitel bis zur Sohle. Umso fassungsloser
war er, als er am nächsten Morgen zu Hause am Frühstückstisch den Eichstätter
Kurier aufschlug.
»Hör dir das an, Fiona«, rief er Richtung Badezimmer und las die
Überschrift vor: »Briefträger unterschlägt stapelweise Postsendungen«.
Dem Artikel war zu entnehmen, dass es der Post in enger Zusammenarbeit
mit der Polizei gelungen sei, einen Zusteller der systematischen Unterschlagung
von Briefen zu überführen. Der Mann habe vor etwa zwei Monaten damit begonnen,
die Post seines Zustellbezirks auf Wertsachen hin zu untersuchen. Noch sei
unklar, wie er die Briefe unter die Lupe genommen habe, möglicherweise mit
einem Infrarotgerät. Jedenfalls habe er Schecks und Geldscheine mit
erstaunlicher Präzision entdeckt und die entsprechenden Briefe an sich
genommen.
»So ein Sauhund«, schimpfte Morgenstern. Wie es in dem Beitrag
weiter hieß, bedauere die Post den Schaden, der den Betroffenen entstanden sei,
und werde jedem Einzelfall nachgehen. Die Postsendungen, allerdings ohne
Schecks und Geldscheine, seien in der Wohnung des Beschuldigten gefunden worden
und würden nun den Adressaten zugestellt. »Die Kripo Ingolstadt ermittelt.« Im
Übrigen weise die Post ausdrücklich darauf hin, dass die Versendung von Bargeld
unvernünftig sei und im Zweifelsfall »mit dem Abschluss einer entsprechenden
Versicherung einhergehen« müsse. Es sei deshalb auch zweifelhaft, ob jeder
Kunde sein Geld nachträglich erstattet bekomme.
Fiona kam mit nassen Haaren aus der Dusche, eingehüllt in ein großes
Handtuch. »Jetzt kann man also nicht einmal mehr der Post trauen? Da können wir
gleich mal bei der Verwandtschaft rumtelefonieren, dass keiner mehr unseren
Kindern Geld schickt. Neulich erst hat Bastian zum Geburtstag von der Oma einen
Zwanzig-Euro-Schein bekommen, damit er sich was von Playmobil kaufen kann.«
Morgenstern erinnerte sich und lächelte, ganz der stolze Vater. Bastian
hatte sich von dem Geld eine Plastik-Polizeistation gekauft, mit der er seitdem
hingebungsvoll Morgensterns Arbeitswelt nachspielte – oder das, was der
Bub dafür hielt. Da gab es Panzerknacker auf frischer Tat festzunehmen, da
klickten winzige Plastikhandschellen, und ein Drogenspürhund schnüffelte an gut
gelaunten, ewig lachenden Playmobil-Menschen, die aussahen, als hätten sie
allesamt LSD genommen.
»Lass mal sehen.« Fiona zog die Zeitung zu sich her. »Titting«,
sagte sie und tippte auf die fett gedruckte Ortsmarke der Meldung. »Der
Zusteller war drüben in Titting. Gott sei Dank war es nicht unserer. Dem hätte
ich das aber auch nicht zugetraut.«
»In einen Menschen kann man nicht hineinschauen«, sagte Morgenstern
weise.
»Die Kripo Ingolstadt ermittelt«, las Fiona halblaut vor. »Und du
weißt mal wieder von nichts. Alles erfährt man in diesem Haus erst aus der
Zeitung.« Ihr Ton hatte etwas ironisch
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