Hausbock
den Kommandanten und klärte ihn über das Gas in der
Kapelle auf.
»Das haben wir gleich.« Der Kommandant sprach ein paar Sätze in sein
Funkgerät. Wenig später kamen drei Feuerwehrmänner mit Atemschutzgeräten und
stellten einen kühlschrankgroßen Apparat vor der Tür auf. Ein starker
Ventilator.
»Den verwenden wir, wenn wir ein verrauchtes Haus entlüften müssen.
Das geht ganz schnell. Bei der kleinen Kapelle ist das eine Sache von zwei
Minuten.«
Auf Kommando öffneten die Männer mit den Atemschutzmasken die Tür,
schoben den Apparat in den Eingang, schalteten ihn ein und zogen sich zurück.
Kurz darauf trugen zwei Sanitäter des Roten Kreuzes Lothar Pfunder
auf einer Trage an Morgenstern vorbei zur Straße hinab, zum wartenden
Rettungswagen. Morgenstern wertete das als Zeichen, dass für den
Denkmalschützer noch Hoffnung bestand.
»Wo bringen Sie ihn hin?«, fragte er.
»Erst einmal in die Klinik hier in Eichstätt, alles Weitere wird man
sehen.«
Blitze zuckten, als die Trage in den Rettungswagen geschoben wurde.
Die Lokalpresse war also auch schon informiert und fotografierte.
»Und was machen wir jetzt?«, hörte Morgenstern eine Stimme hinter
sich. Er wandte sich um. Verschwitzt stand der Streifenbeamte neben ihm, der
Lothar Pfunders Herz offensichtlich mit Erfolg bearbeitet hatte.
»Großfahndung«, sagte Morgenstern. »Großfahndung nach Raphaela
Ledermann und ihrem geliehenen Motorrad. Ein Geländemotorrad der Marke Suzuki,
mit Weißenburger Kennzeichen. Zugelassen auf Andreas Bachmeier aus Raitenbuch.«
Der Beamte nickte. Sein Kollege kam den gewundenen Kiesweg
herabgelaufen.
»Schau mal. Das ist oben liegen geblieben.« Er hielt Morgenstern
einen dunkelgrünen Trachtenjanker mit Hirschhornknöpfen und aufgenähten
ledernen Eichenblättern am Kragen entgegen.
»Bin ich vielleicht das Fundbüro?«, fragte Morgenstern genervt. Dann
erkannte er, dass es sich nur um Pfunders Jacke handeln konnte, die ihm wohl
von einem der Sanitäter ausgezogen worden war. Er nahm die schwere
Trachtenjoppe und klemmte sie sich unter den Arm.
»Großfahndung!«, wiederholte er, nahm sein Handy und tippte eine
Kurzwahlnummer ein: Peter Hecht in Schrobenhausen.
»Mensch, ich bin gerade auf dem Weg ins Bett«, schimpfte Hecht. »Was
ist denn los?«
»Der Teufel ist los, Spargel.« Er erklärte kurz, was passiert war,
und Hecht versprach, schnellstmöglich ins Altmühltal zu kommen.
»Wir treffen uns bei der Polizeiinspektion in Eichstätt«, sagte Morgenstern.
Er warf einen letzten Blick zu der Kapelle, wo die Feuerwehrleute
eben den Ventilator abstellten. Im harten, grellen Licht des Scheinwerfers sah
er im Gras neben dem Eingang etwas Helles glänzen, das er bisher übersehen
hatte. Er ging darauf zu und winkte dann ab. Es war nur ein Stück einer
zerbrochenen dünnen Kalksteinplatte. Die Friedhofsmauer war mit diesen Platten
gedeckt. Legschiefer, wie er auch auf den Dachstühlen der Jurahäuser lag. Immer
sechs Lagen übereinander. Ohne Mörtel, ohne Kleber, ohne Nagel. Nur durch das
eigene Gewicht gehalten. Doch hier, an der Friedhofsmauer, waren etliche
Platten im Laufe der Jahre abgerutscht und auf den Boden gefallen.
Morgenstern gab der Platte im Gras einen Tritt mit dem Stiefel.
Etwas Rotes schimmerte an ihrer harten Bruchkante. Er beugte sich hinab, tippte
das Rote mit dem Zeigefinger an und hielt ihn gegen das Licht des
Scheinwerfers: Blut.
Er ließ sich von einem Streifenbeamten eine Plastiktüte bringen und
legte das Schieferstück sorgfältig hinein. »Die Tatwaffe«, sagte er.
»Ein Angriff mit einer Legschieferplatte«, antwortete der Beamte
kopfschüttelnd. »Bei uns geht’s zu wie in der Steinzeit.«
Von mehreren Türmen der Stadt schlugen die Glocken Mitternacht. Vom
Dom, vom Rathausturm und von der Klosterkirche St. Walburg. Draußen vor
dem Friedhof hatten sich zahlreiche Schaulustige aus der Nachbarschaft
versammelt, manche hatten erkennbar nur schnell das nächstbeste Gewand über
Schlafanzug oder Nachthemd gezogen und waren in Plüschpantoffeln auf die Straße
geeilt, um das Spektakel nicht zu verpassen. Als Morgenstern aus dem Tor des
Friedhofs kam, von zwei uniformierten Polizisten begleitet, musterten ihn die
Gaffer neugierig. Manche vermuteten wohl, der Mann in der Jeansjacke werde
soeben abgeführt, was auch immer er auf dem finsteren Pestfriedhof angestellt
haben mochte.
Als sie zum Streifenwagen gingen, wich die Menge tuschelnd zur
Seite.
»Einen Moment, Kollegen«,
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