Hausbock
Friedhof kommen«, sagte er. »Aber jetzt bist
du ja schon hier. Kaffee?«
»Gerne. Und ein Aspirin.« Morgenstern fragte sich, wie er diese
Nacht überstehen sollte. Er hatte zu viel getrunken, eine hoffentlich nur
leichte Gasvergiftung, in der Klinik lag ein Mann mit blau angelaufener Zunge,
und da draußen lief die Fahndung nach einer Hamburger Hausbesetzerin. Hatte
sie, mit Hilfe von Andi Bachmeier, Denkmalpfleger Pfunder in eine diabolische
Falle gelockt? Aber warum?
Gierig schlürfte Morgenstern seinen Kaffee.
»Du musst dich untersuchen lassen«, sagte Inspektionsleiter Huber,
nachdem ihm Morgenstern in groben Zügen die Lage geschildert hatte. »Die Lunge,
die ist ein ganz heikles Organ.«
»Alles halb so wild«, hielt Morgenstern mannhaft dagegen und
streckte seine Beine lässig auf einem Schreibtisch aus, auf dem er schon
Pfunders Jacke achtlos abgelegt hatte. Der Janker im Trachtenstil fiel zu
Boden, und als Morgenstern sich hinabbeugte, um ihn aufzuheben, blieb ein
längliches weißes Kuvert auf dem Linoleum liegen.
Er nahm den Umschlag, drehte ihn um. Ein Brief: ohne Absender, die
Anschrift – Pfunders Privatanschrift in München – mit Schreibmaschine
getippt, eine abgestempelte Standard-Briefmarke. Das Kuvert war offen.
Morgenstern zögerte kurz, dann nahm er das Schreiben heraus. Wieder fehlte ein
Absender. Und es gab keine Unterschrift. Nur einige wenige, mit Schreibmaschine
getippte Zeilen. Morgenstern überflog den Text. Draußen fuhr ein Auto vor.
Peter Hecht war gekommen.
Morgenstern sprang auf und lief zur Tür, den Brief in der Hand.
»Das ist es!«, rief er ihm zu und schwenkte das weiße Blatt Papier.
»Wie bitte?«, fragte Hecht, der gerade den Wagen absperrte. »Jetzt
lass mich halt erst mal reinkommen.«
Doch Morgenstern war nicht zu bremsen. »Ein Brief. Adressiert an
›Denkmalpfleger Lothar Pfunder‹.«
Hecht warf einen Blick auf das Schreiben. »Da schau an! Die
Schreibmaschine erkenne ich auf einen Blick. Das ist das alte mechanische Ding
von Richter Ledermann.« Er nahm das Blatt und fuhr mit den Fingern über die
Oberfläche. »Der muss auf die Tasten gehauen haben wie ein Stier, damit das
alte Farbband noch ein bisschen Saft abgegeben hat. Den Punkt am Satzende hat
es jedes Mal voll durchs Papier gedrückt.«
Gemeinsam standen sie unter der Lampe am Eingang der Inspektion und
lasen das Schreiben Wort für Wort durch.
»Herr Pfunder! Nachdem Sie bereits zum zweiten Mal in Folge unsere
Abmachung gebrochen haben, müssen Sie mit Konsequenzen rechnen, Ich werde, wenn
es mir richtig scheint, die Öffentlichkeit darüber in Kenntnis setzen, wie
schamlos Sie sich durch Nötigung und Bestechlichkeit bereichert haben und es vielleicht
immer noch tun. Mit Ihnen wurde der Bock zum Gärtner gemacht.«
»Starker Tobak«, sagte Hecht.
»Nötigung und Bestechlichkeit«, las Morgenstern noch einmal. Und ihm
fiel ein, dass in der Brusttasche seiner Jeansjacke zehn Fünfzig-Euro-Scheine
steckten, vorbereitet für Lothar Pfunder, den Gebietsrepräsentanten des
Landesamts für Denkmalpflege und angeblichen Betreiber eines privaten
Gutachterbüros. Nicht auszudenken, wenn Kriminaloberkommissar Mike Morgenstern
einen korrupten Beamten geschmiert hätte. Die Sache mit dem privaten
Gutachterbüro hätte ihm kein Disziplinarausschuss der Welt abgenommen. Und da
hätte es auch nichts genutzt, wenn er alles auf Fiona und ihre Naivität
geschoben hätte. Der Schweiß perlte ihm auf der Stirn.
»Ist dir nicht gut?«, fragte Hecht, dem das nicht entging.
»Doch, doch. Ich bin nur so froh, dass ich heil aus dieser Sache
rausgekommen bin.«
Hecht dachte offenbar, dass Morgenstern den Vorfall in der Kapelle
meinte, und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter: »Unkraut verdirbt
nicht.«
Zusammen gingen sie ins Inspektionsgebäude. Morgenstern grübelte
immer noch. Wie konnte Pfunder so waghalsig gewesen sein, ausgerechnet einem
Kriminalbeamten ein unmoralisches Angebot zu unterbreiten? Die Antwort fand er
rasch. Pfunder hatte nur mit der ihm unbekannten, völlig euphorischen Fiona
gesprochen. Ein leichtes Opfer. Schnell verdientes Geld.
Aber das Risiko musste dennoch hoch gewesen sein bei solchen
Aktionen. Was, wenn er an den Falschen geraten wäre?
Noch einmal las er das lakonisch knappe Schreiben aus der Schwarzmühle
durch. »›Unsere Abmachung …‹«, murmelte er. »Das war wohl eher eine
handfeste Erpressung. Tausend Euro monatlich als Schweigegeld«, sagte er laut.
»Als Dank
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