Hausers Zimmer - Roman
aufziehbare Puppen.
»Und wie lange seid ihr gefahren? Das ist ja eine halbe Weltreis e … Ihr wollt euch sicher erst einmal ausruhen und frisch machen.«
Wir betraten das Haus, im Flur und im Wohnzimmer standen schon einige Leute herum. Der Onkel rief laut: »Die Baaaliner sind da!«
Auf einmal war es still, alle starrten in unsere Richtung. Klaus und Wiebke lächelten schüchtern. Falk nuckelte an einer seiner langen, schwarzgefärbten Haarsträhnen. Ich guckte mich um.
»Ja, dann setzt euch doch mal«, sagte der Onkel in das Schweigen. Plötzlich redeten alle Leute wieder angeregt. Eine weißhaarige Frau, die in Wiebkes Nähe stand, nahm sich jetzt ihrer an: »Hattet ihr denn eine sehr lange Reise? Das ist doch sehr weit, oder?«
Schließlich stapften wir eine Wendeltreppe hoch, wobei wir Familienfotos von uns unbekannten Gestalten an schweinchenrosa Wänden betrachten konnten, bis wir in ein Zimmer im ersten Stock gelangten. Der Raum war von einer verschiebbaren Stellwand unterteilt, es gab zwei riesige, mit fliederfarbenen Decken versehene Doppelbetten; ein Bad, in dem es eine Duschkabine und eine Badewanne gab, befand sich gleich eine Tür weiter. Wir stellten unser Gepäck ab, dann gingen wir nach unten.
Zu viert saßen wir nebeneinander auf der Couch wie Vögel auf einer Stange; ein kleines Mädchen in gepunktetem Kleid und schwarzen Lackschuhen reichte uns Sekt und Orangensaft. Falk trank Sekt. In jeder freien Minute stürzte er zur Garderobe, wo er seinen kleinen Kassettenrekorder unter seiner Jeansjacke versteckt hatte. Dann erklang leise knisternd Pornography .
»Und hattet ihr eine lange Fahrt?«, fragte uns ein anderes Mädchen, das nicht viel jünger war als ich; vielleicht eine meiner Cousinen, die ich vor vielen Jahren einmal bei Oma Helene gesehen hatte.
»Ach, es ging, es ging«, mehr fiel Wiebke dazu nicht ein.
»Die tun ja so, als ob wir gerade hinter dem Ural hervorgekrochen wären«, flüsterte mir Falk ins Ohr. Ich nickte und grinste. Wir nippten an unseren Gläsern. Falk trank seinen Sekt in zwei Minuten, stand einfach auf und schenkte sich nach, woraufhin eine dicke Fra u – in ihrem honiggelben Kostüm mit schwarzem Gürtel sah sie aus wie Bien e Maja – ihn vorwurfsvoll ansah.
Von Wiebke erfuhr ich schließlich, dass Onkel Ulrich ein fünfzehn Jahre älterer Bruder von Klaus war. Stimmt, schon mal gehört. Mein Vater hatte vier Geschwister, alle lebten sie irgendwo mit ihren Familien in der Umgebung von Paderborn, so weit war ich noch informiert. Ich wusste auch, dass mein Vater der Einzige war, der ausgewandert war. Nach West-Berlin. Wenn dies die Familie von Klaus war, müssten eigentlich auch der alte Knilch und die Rund-Oma da sein, ich konnte sie aber nirgends entdecken. Merkwürdig. Dann eben nicht.
Falk schenkte sich noch einmal Sekt nach, und ein alter Knacker machte laut: »Hä-häm«, was Falk nicht abschreckte. Mein Bruder vertrug viel. Fast so viel wie Knautschke und Bulette, behaupte ich mal. Irgendwelche Idioten von Besuchern versuchten immer wieder, die Tiere betrunken zu mache n – so etwas las man zumindest in der Lokalpress e –, aber die fetten Viecher waren nach dem Genuss von Sekt, Wodka und anderen Spirituosen stets genauso rammdösig wie vorher. Es gibt wohl keine dümmere Methode, Geld zum Fenster hinauszuwerfen, als Alkohol an Nilpferde zu verköstigen.
Endlich setzte sich mal einer zu un s – ein kleiner, dicklicher Mann. Dunkel erinnerte ich mich, dass dies auch ein Bruder von meinem Vater war. Er hatte ein Schreibwarengeschäft und war derjenige, den mein Vater noch am ehesten ertragen konnte. Er sei zwar nicht intellektuell, habe aber wenigstens mit Papier zu tun, hatte Klaus mal gesagt. Nach dieser Logik müssten ihm eigentlich auch Kartenabreißer und Briefträger nahestehen. Klaus und der Bruder, dessen Namen ich allerdings vergessen hatte, unterhielten sich und stießen mit ihren Gläsern an. Es sah aus, als würde der Bruder sich freuen, Klaus zu sehen. Wiebke begann mir etwas zu erzählen, weil sich niemand für uns interessierte. Ein Mann in einem Dreiteiler, mit großen Koteletten, hatte ein Gespräch mit Falk angefangen. Das konnte nicht gut enden. Der Kotelettenmann lachte verkniffen, es sah aus, als wolle er mit Falk scherzen. Falks Miene blieb unbewegt.
»Hörst du mir überhaupt zu?«, fuhr Wiebke mich an. Sie hatte angefangen, mir über ein ihrer Meinung nach interessantes Theaterstück, eine Neuauflage von Goethes Werther , zu
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