Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
Vom Netzwerk:
erzählen, aber ich hörte nur etwas von »Neuen Leiden« und hatte keine Lust, mir das anzuhören. Außerdem merkte ich, dass Wiebke eigentlich mit ihren Gedanken ganz woanders war. Zum Glück setzte sich die alte weißhaarige Dame, die uns vorhin als Erste nach dem weiten Weg gefragt hatte, zu Wiebke und erlöste mich von den Leiden. Allerdings war die Konversation, die ich da zu hören bekam, auch alles andere als spannend: Wiebke fragte die Frau, wer sie sei, woraufhin sie beleidigt antwortete, sie sei Tante Gisela. Wiebke lächelte, aber ich sah an ihrem Gesicht, dass der Groschen nicht gefallen war. Dann erzählte Tante Gisela, die offenbar nicht sehr nachtragend war, von ihrem Häuschen in der Eifel. Es ging um Blumen und Gärten, und Wiebke hörte zu, da sie sich nicht dazu äußern konnte. Nun fragte Tante Gisela nach unserem Leben in Berlin. Und Wiebke erzählte, was sie und Klaus beruflich machten, wobei sie herausstrich, dass sie eine »interessante Arbeit« hätten und es ihnen in Berlin gutgehe.
    »Habt ihr denn nicht manchmal Angs t – wegen der Russen?«, fragte die Tante und sah meine Mutter besorgt an. Aber Wiebke schüttelte entschlossen den Kopf. Dann sagte sie noch, ein großer Vorteil des Lebens in Berlin seien die unglaublich niedrigen Lebenshaltungskosten. Die Mieten! Der öffentliche Nahverkehr! Und Konditoreiwaren würden zum Beispiel nur die Hälfte kosten, aber auch gut schmecken. Die Tante guckte zweifelnd.
    »Zumindest der erste Teil des Satzes stimmt«, mischte sich Klaus ein.
    Jemand schlug mit einem Löffel an ein Glas, und alle bewegten sich in ein anderes Zimmer, in dem mehrere große Tische gedeckt waren. Überall standen Namenskärtchen. Der Schreibwarenhändler-Bruder von Klaus rief: »Ulrich und Margot haben euch alle so richtig schön durcheinandergewirbelt!«, aber wir vier saßen am gleichen Tisch. Uns wollte wohl niemand mit den anderen mischen.
    »Da hinten ist die Berliner Ecke! Gleich hinter der Mauer!«, rief einer, und alle lachten laut. Als Mauer wurde ein kleiner Vorsprung mit hässlichen Zimmerpflanzen bezeichnet. Links und rechts von Falk und mir waren auch noch Namenskärtchen für ein paar unserer Cousinen und Cousins, das sollte dann wohl »die jugendliche Ecke« sein. Ich war also in zwei Ghettos geraten. Thorsten, Rainer, Uwe und Linda stellten sich uns vor, dann fing Rainer sofort an, über Fußball zu reden, und dass Hertha BSC ja nicht schlecht sei. Das war wohl nett gemeint, bloß hatten Falk und ich keinen Schimmer von irgendwelchen Bundesligatabellen. Irgendwann merkte Rainer das und brach ab. Dann schaltete sich Linda ein und fragte nach unserem Sommerurlaub, eigentlich eine schöne, neutrale Frage. Wahrheitsgetreu erzählten wir, dass wir gerade in der Bretagne gewesen seien, woraufhin Uwe laut rief: »Ach, ihr seid hier quasi auf Durchreise, seid gar nicht extra hergekommen?«
    Falk und ich nickten, und Uwe meinte noch, halb grübelnd: »Ihr Schlauberger.« Hoffentlich regten sich Wiebke und Klaus nicht nachher darüber auf, aber eigentlich war es ihr Problem, wenn sie andere anlogen. Wo war eigentlich Edgar, unserer ältester Cousin? Er war bisher noch gar nicht aufgetaucht. Als wir ihn das letzte Mal gesehen hatten, trug er einen marineblauen Anzug, ein cremefarbenes Halstuch und einen Seitenscheitel.
    Rainer fing an, über Musik zu reden. Unser Geschmack klaffte so dermaßen auseinander, dass an ein nettes Einvernehmen nicht mehr zu denken war. Man gab sich eine halbe Stunde wirklich Mühe, aber dann kamen die Unvereinbarkeiten in alter Härte ans Tageslicht, und man merkte: Es ging einfach nicht. Unsere Cousins hörten nur übelsten Mist, The Teens oder Gazebo , was sollte man dazu sagen. Linda hielt sich aus der Popdiskussion heraus, sie meinte, dass Musik für sie nicht mehr so eine Bedeutung habe »wie früher einmal«. Sie war mit ihren neunzehn Jahren schon verheiratet und trug eine Frisur wie Oma Helene.
    Jetzt kam eine Ulrike an unseren Tisch. Mit sichtlicher Neugierde betrachtete sie Falk und mich. Sie wirkte sehr selbstbewusst und fragte gleich: »Ist das Mode in Berlin, so schwarzgefärbte lange Haare für Jungs?«
    Falk fühlte sich sichtlich wohl in seiner Rolle als vermeintlich cooler Großstädter und fragte zurück, ob Krissellocken das Neueste in Paderborn seien. Ulrike schüttelte ihren Pudelkopf: »Ich komme doch nicht aus Paderborn, das habe ich dir schon damals erzählt, ich bin aus Dortmund.«
    »Ist das weit von hier?«,

Weitere Kostenlose Bücher