Hausers Zimmer - Roman
Amsterdam entfernt, in Augenschein nehmen. Es war angeblich von einem riesigen Skulpturengarten umgeben, auf manche Installationen durfte man sogar hinaufklettern. Mir schien, mit dieser Info wollten Wiebke und Klaus uns ködern. Der übliche Trick mit den begehbaren Kunstwerken.
Es dauerte ewig, bis wir den Weg zu diesem Kaff gefunden hatten, und Wiebke und Klaus waren in Unruhe, ob Museum und Skulpturenpark überhaupt noch geöffnet hatten. Schließlich waren wir da. Die Kunstwerke waren sparsam gesät, das heißt, man konnte einige Meter gehen, ohne sofort auf ein Hindernis zu stoßen. Klaus war von Serras rostigen Eisenwänden vollkommen hingerissen, manisch tobte er mit seinem Fotoapparat um die Skulptur herum. Wiebke fand ihre roten Haare dazu ungeheuer passend, aber Klaus konzentrierte sich eindeutig mehr auf die verrosteten Wände. Das hielt sie jedoch nicht davon ab, sich stets aufs Neue vor der riesigen Skulptur in Szene zu setzen.
Während Wiebke und Klaus noch im Museumsinneren herumwuselten, nahmen Falk und ich uns den Park vor. Am besten gefiel uns der schwarzweiße Dubuffet-Hüge l – ein gemütlicher Ort zum Herumsitzen und in die Gegend schauen. Falk krabbelte kurz entschlossen hoch und baute sich oben zufrieden einen Joint. Er überredete mich, daran zu ziehen. »Wir sind schließlich in Holland, Jule, und du bist langsam auch alt genug dazu.« Ich nahm ein, zwei Züge, bis ich mich angenehm dösig fühlte, und streckte alle Viere von mir. Klarer Fall: Es sollten mehr begehbare Kunstwerke gemacht werden.
Auf der anschließenden Fahrt nach Paderborn ranzten sich Wiebke und Klaus die ganze Zeit über an. Jeder wollte dem anderen die Schuld dafür geben, dass wir nach Paderborn fuhren. Ich hörte Worte wie »Feigheit«, »Entscheidungsunfähigkeit« und »typisch«. Mir war egal, was auf wen gemünzt war. Kurz überlegte ich, ob ich fragen sollte, zu wessen Geburtstag oder Todestag wir überhaupt fuhre n – oder ging es um einen Hochzeitstag ? –, ich hatte nämlich keinen Schimmer. Der Name »Onkel Ulrich« fiel öfter, aber ich wusste nicht einmal, ob er aus Wiebkes oder aus Klaus’ Verwandtschaft stammte. Ich beschloss, nicht näher nachzufragen, vielleicht löste das auch schon Ärger aus.
Natürlich verfuhren wir uns mehrfach, bis wir Onkel Ulrichs Haus erreichten. Es stellte sich erst jetzt heraus, dass es nicht in Paderborn, sondern bei Paderborn lag. Als Wiebke und Klaus schon wieder eine falsche Abzweigung nahmen, meinte Falk: »Das sieht mir ja glatt nach einer ›Falkschen Verzögerungstaktik‹ aus « – aber Wiebke und Klaus lachten nicht.
Als wir ausstiegen, sahen sich Wiebke und Klaus unsicher wie kleine Kinder an. Erst wollte niemand den goldenen Klingelknopf am Gartenzaun berühren, dann streckten sie im gleichen Moment die Hände aus. Zwei lange Minuten vergingen, dann erschien ein grauhaariger Mann mit fetten Koteletten und einem roten, kropfigen Hals in der Tür. Er winkte und ging die Stufen herab. Ich überlegte, ob ich ihn je vorher gesehen hatte. Ich konnte mich nicht erinnern, wir hatten die Verwandtschaft in »Restdeutschland« fast nie gesehen. Falk und ich waren nicht getauft worden, und viele dieser typischen Familienfeste wie »Konfirmation« oder »Firmung«, je nachdem, hatte es bei uns daher nie gegeben. Oma Helene fand es schlimm, dass wir nicht im protestantischen Glauben erzogen wurden, und der Vater von Klau s – es kam mir merkwürdig vor, wenn ich an den alten Knilch dachte, von »meinem Großvater« zu spreche n – war sehr entrüstet, als er von seinem Sohn erfuhr, dass wir nicht im katholischen Glauben erzogen wurden, also hatten Wiebke und Klaus mal wieder alle vor den Kopf gestoßen, und Falk und ich waren »die kleinen Monster«.
Der Onkel oder Vetter oder was weiß ich gab Klaus und Wiebke die Han d – nicht mal aus der Begrüßung ließ sich schließen, zu wem er gehört e – und deutete mit einem Kopfnicken in Richtung Haus: »Ist ja schön, dass ihr gekommen sei d … von so weit her.«
Er schien zu denken, dass wir extra aus Berlin angereist waren; Klaus und Wiebke sagten nichts dazu.
»Ihr habt ja viel Gepäck dabei«, murmelte der Onkel.
»Das kann im Auto bleiben«, meinte Wiebke schnell. Klaus und sie warfen sich einen betretenen Blick zu. Der Onkel interessierte sich schon nicht mehr für unser Gepäck. »Schön haben wirs hier, nicht wahr?« Er blickte sich im Garten um. »Und wie das duftet!«
Wiebke und Klaus nickten wie
Weitere Kostenlose Bücher