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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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reinfallen lassen.« Dann bekam ich wieder einen Stöpsel ins Ohr gedrückt, und Falk drehte die Lautstärke hoch und ließ mich hören, wie ein Mädchen allein über das anbrandende Meer schaut und sich aus Einsamkeit hineinstürzt. Während ihre Sinne und Erinnerungen sie verlassen, denkt sie immer noch an Welten, die es nie gegeben hat. Als ich Falk danach fragte, meinte er nur, Träumen sei die billigste Art zu reisen. Wir hatten offenbar ziemlich verschiedene Vorstellungen vom Reisen. Und ziemlich verschiedene Träume.
    Wiebke und Klaus lagen tagsüber stundenlang in Hängematten im Garten. Ab und zu lasen sie sich Passagen aus Zeitungsartikeln vor, über die sie dann gemeinsam lachten oder schimpften. Sie schienen sich wieder besser zu verstehen. Abends fuhren wir in die berüchtigten »authentischen kleinen« Restaurants, in denen Wiebke und Klaus sich unsicher umschauten und verlegen auf irgendwelche Gerichte auf der Karte zeigten. Mit ihrem Französisch war es nämlich nicht so weit her. Wiebke stöhnte: »Ich habe aber auch alles verlernt!«
    »Indem sie sich in ein entlegenes Bauernhaus verkriecht und deutschsprachige Bücher liest, wird sie ihr Wissen auch nicht auffrischen«, flüsterte mir Falk von Hängematte zu Hängematte zu.
    Falk hatte eine Tüte mit Hanfblättern vom Dachgärtchen mitgenommen und baute sich jeden Tag einen Joint. Wiebke und Klaus fanden das nicht gut, aber Falk beschwichtigte sie: »Regt euch nicht auf, es wird schon niemand hier vorbeikommen, der euch Erziehungsfehler unterstellt.«
    Da Wiebke sich selber gern auf dem Dachgärtchen bediente, hielt sie sich mit Kritik zurück, betonte aber, dass sie erst als Studentin angefangen habe zu kiffen. In ihren Augen machte das wohl einen großen Unterschied.
    Da Falk so ein gutes Zeugnis hatte, fehlte Wiebke und Klaus überdies ein Argument, um ihn davon abzubringen. Prinzipienreiterisch und autoritär wollten sie auch nicht auftreten. Also stellte Wiebke mit ihrem untrüglichen Sinn für praktische Lösungen Falk jeden Morgen ein Glas Wasser mit einer Multivitamintablette an seinen Frühstücksplatz: »Zum Ausgleich.«
    Am Strand musste ich oft an Steffen denken. Vielleicht würden wir ja irgendwann zusammen zu den Galapagos-Inseln oder nach Patagonien fahren? Am Hang des Osorno-Vulkans wandern gehen bis zu den Petrohue-Wasserfällen, deren Umgebung durch die erkalteten Lavaströme des Vulkans geformt wurde? Und weiterreisen zum Pumalín-Park mit den fünftausend Jahre alten Alerce-Urwaldriesenbäume n … Steffen hatte mir schon zweimal geschrieben. Er zitierte Schwachsinnsdialoge, die er in der U-Bahn aufgeschnappt hatte, und beschrieb, wie sein Hund Trotzki durch einen Eimer roter Farbe und anschließend über eine taz marschierte. Steffens Briefe waren so gut konstruiert wie seine Aufsätze in der Schule, er vermied Wiederholungen, schrieb nicht ständig »irgendwie« oder »merkwürdig« wie ich. Er benutzte sogar Worte wie »fraternisieren«. Und was hatte ich ihm bisher geschrieben? Eine Postkarte mit unserer Bucht drauf, wo ich mit einem schmierigen Kugelschreiber, dem während meines Malprozesses die Mine auslief, uns vier eingekritzelt hatte, Falk ein langer dünner Strich, Wiebke als Doppelrockwesen, Klaus eine Krawatte mit Beinen dran und ich als Marienkäfer. Gestern hatte ich ihm noch eine andere Karte geschick t – mit verschiedenen Bojen darauf. Es gab große grüne, die wie Geister aus den Wellen ragten, kleine rote, die in sich ringelnden Ketten vor den Betrachter gespült wurden, und friedliche blaue, die dickbäuchig auf Sandbänken dösten. Hoffentlich wusste Steffen das zu würdigen.
    Noch zwei Wochen Bretagn e – wie sollte ich das bloß aushalten? Wenigstens lief hier nicht dauernd die Polonäse . Ich hatte auch an Isa, Fiona und Sonja Postkarten geschrieben, die in ihren Briefkästen herumdümpelten, während sie sich in Tunesien, Portugal und Kärnten vergnügten. Eine Million Zeichnungen hatte ich auch schon gemacht. Ich hatte den Hauser aus dem Kopf gemalt, wie er nackt in seinem Zimmer stand, und ich fand, er war ziemlich gut getroffen. Aber natürlich konnte ich niemandem diese Bilder zeigen.
    Letzte Woche hing auch noch der Haussegen schief, weil eine Ausgabe des in den Urlaub nachgeschickten Tagesspiegel nicht angekommen wa r – was zu dramatischem Haareraufen bei Wiebke und zu missmutigem Genörgel und Gefluche bei Klaus geführt hatte. Man hätte meinen können, uns seien Wasser oder Strom abgestellt

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