Hausmaestro - Kriminalroman
dass wir ihm, wenn’s ernst wird, blind vertrauen können. Wenn wir ihn gebraucht haben, weil’s oben a bisserl gewackelt hat, da hat er plötzlich die Augen aufgemacht und nicht nur das Gesicht verzogen, was uns natürlich überhaupt nix hilft, sondern er hat eingegriffen und uns geholfen, bis alles in Ordnung war. Dann hat er die Augen wieder geschlossen und alles nahm seinen gewohnten Lauf. So etwas erwarte ich von einem außergewöhnlichen Dirigenten.«
»Ja, aber vom Böhm erzählt man sich auch, dass er Angst und Schrecken verbreitet hat, wenn einmal etwas misslungen ist. Und er war ja wohl auch ein außergewöhnlicher Dirigent.«
»Den Böhm hab ich nur noch in seinen letzten Jahren erlebt, da war’s nicht mehr ganz so schlimm. Aber was mir die Kollegen erzählt haben, konnte der auch sehr unangenehm werden. Allerdings hatte er dafür ganz andere Motive. Bei ihm stand das Werk an erster Stelle, und das rückt für uns alles in ein ganz anderes Licht. Bei dem Maurer stand der Maurer an erster Stelle, und das haben wir halt gespürt. Warum sollen wir für einen singen, den wir nicht mögen?«
Nachdenklich wiegte Clara ihren Kopf. »Ich verstehe, was Sie meinen. Von dieser Seite sehen wir Zuschauer das natürlich nicht.«
»Hat er eigentlich jeden so schlecht behandelt?«, mischte sich nun Walz, der unterdessen seine Mahlzeit beendet hatte, ins Gespräch ein.
»Nein, wo denken Sie hin?«, rief Misic aus, »selbstverständlich nicht. Das hat er nur mit uns gemacht, die wir am Haus angestellt sind. Wenn er die Mayhold nur einmal so angepfiffen hätte, wäre die sofort zur Direktion gegangen und hätte einen neuen Dirigenten gefordert. Und dann hätte der Maurer ein Problem gehabt. Dirigieren können die ›Traviata‹ schließlich auch andere, ich denke nur an den Berner, der ja auch zur Debatte stand. Aber so eine Violetta wie die Mayhold gibt es nicht mehr so schnell.«
»Das ist ja das Infame daran«, sagte plötzlich die Bernreuter, »er schlug ja nur auf diejenigen ein, die sich nicht wehren können. Die Großen hat er mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt. Dafür schmort er jetzt hoffentlich in der Hölle.«
Walz, den die Diskrepanz zwischen der gutbürgerlichen Erscheinung der Sängerin und ihren Kommentaren verblüffte, runzelte die Stirn.
»Uns wurde erzählt, dass er die Orchestermusiker auch schlecht behandelt hat, haben Sie darüber auch etwas gehört?«
»Ich weiß es von einem Cellisten, der auch Albaner ist«, meldete sich Mirgu zu Wort. »Der hat mir erzählt, dass er sich im Orchester genauso aufgeführt hat.«
»Sie sehen, Herr Inspektor, wir sind nicht allein mit unserem Hass«, sagte Misic zufrieden, »ich kann mir vorstellen, dass das Ihre Arbeit nicht gerade erleichtern wird.«
»Ich fürchte, da haben Sie recht«, antwortete Walz betrübt. »Haben Sie zufällig gehört, dass sich jemand besonders aufgeregt oder vielleicht gar Rache geschworen hat?«
»Lieber junger Freund«, entgegnete Misic scharf, dessen Gesichtsausdruck sich plötzlich verfinsterte, »wenn Sie erwartet haben, dass ich hier jetzt einen Kollegen vernadere, dann sind Sie effektiv an den Falschen geraten.«
»Ich wollte Ihnen bei Gott nicht zu nahe treten«, antwortete Walz bestürzt und hob beschwichtigend die Arme, »aber Sie müssen auch meine Arbeit verstehen. Ich suche einen hinterhältigen Mörder, der sich nachts in eine fremde Wohnung schleicht und einem friedlich Schlafenden mit einem Draht so lange den Hals zuschnürt, bis er erstickt, also nichts weniger als einen Schwerverbrecher.« Er wählte, wie schon bei Weber, mit Absicht die etwas veränderte Schilderung des Tathergangs.
Misic, dessen Gesicht in Sekundenbruchteilen rot angelaufen war, lächelte plötzlich versöhnlich.
»Geschenkt, Herr Inspektor. Entschuldigen Sie meine heftige Reaktion, aber in einem Opernhaus gibt es so viele Intrigen, dass man das Seine nicht auch noch dazu beitragen will. Aufgeregt haben sich fast alle, aber es besteht doch immerhin ein Unterschied zwischen einem, der ihm die Hölle an den Hals wünscht und demjenigen, der sie ihm bereitet. Ich für meinen Teil traue keinem Kollegen so etwas zu.«
Mit diesen Worten ergriff er den leeren Weinkrug und schwenkte ihn mit großer Geste hin und her. »Heidi, noch einen Liter!«
Mit einem zufriedenen Grunzen wandte er sich wieder an Walz.
»Ich glaube, Herr Inspektor, zu diesem Thema ist jetzt alles gesagt. Wenn Sie nichts dagegen haben, widmen wir uns nun lieber
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