Hausverbot
Alphatiere scharfe Kanten hatte, zeigte man mir ständig die Tür. Ich erkannte mein Martyrium. Die Gene hatten mir einen Streich gespielt. Als Apfel fiel ich zufälligerweise weit vom Stamm. In meinem psychologischen Konstrukt wütete die Subversion. Deswegen bekam ich andauernd Hausverbote.
Ich stellte einen Karton nach dem anderen in das Holzgestell, das James in dem erdgeschossigen Lager provisorisch an der Wand angebracht hatte. Das System reichte bis unter die Decke. Der Raum war zwar nur zwei Meter breit und sechs Meter lang, dafür aber vier Meter hoch. Deswegen passten alle unsere Kartons problemlos rein. Wir hatten sie auch vorher schön beschriftet: Kram Gina, Klamotten Gina, Schminkzeug Lola, Perücken Lola, Klamotten Lola, Arbeitsmaterial Lola, Bücher Lola, Zeichnungen Lola, Zeichnungen Romek, Pinsel James, Kram James, Werkzeug James . So behielten wir den Überblick. Gegenüber lehnten unsere Leinwände, und wir konnten den Raum einigermaßen betreten. James hatte sogar vor, trotz der Enge an seinen Bildern zu malen, auch wenn er sie dabei nicht betrachten konnte. Ihm war es aber auch egal, was und wie er malte. Hauptsache, er tat es. Dann fühlte er sich wie ein Künstler. Und genau darum ging es den meisten. Weder produzierten sie was Spannendes noch waren sie überhaupt begabt. Dennoch fühlten sie sich im Prozess des Schaffens auserwählt bis göttlich. Sie schütteten Endorphine aus. Sie empfanden Euphorie. Sie brauchten nichts mehr als sich selbst. Und dagegen war nichts einzuwenden. Denn alle anderen nervten, weil sie nicht alleine auskamen. Sie benötigten Dependancen, um zu existieren. Mütter brauchten Kinder, Kinder brauchten Väter, Väter brauchten Nutten, Nutten brauchten Kunden, Kunden brauchten Dealer, Dealer brauchten Kriminelle, Kriminelle brauchten Reiche, Reiche brauchten Arme, Arme brauchten Körper, Körper brauchten Lehrer, Lehrer brauchten Schüler, Schüler brauchten Mütter. An der Stelle schloss sich der Kreis.
Das im ersten Stock gelegene kleinere Lager hatte ein Fenster zur Straße. Der Raum war fast quadratisch, ungefähr zwei Meter vierundsechzig lang, zwei Meter vierundsechzig breit und genauso wie das Lager darunter vier Meter hoch. James richtete hier unsere Schlafkojen ein. Auf der linken Seite, wenn man reinkam, stellte er Ginas Gitterbettchen hin. Daneben positionierte er die Matratze für sich und mich in der Größe von zwei Meter mal ein Meter vierzig. Wenn wir alle vier drin waren und die Tür von innen verschlossen, konnte auch Romeks Zwei-Meter-mal-neunzig-Zentimeter-Matratze auf den Boden gelegt werden. Die Tür hatte einen Schlitz für die Post, die morgens direkt auf dem Kopf von Romek landete. Besonders lustig war es, wenn er von Dinavierumschlägen geweckt wurde. Romek hätte sich auch andersrum legen können, dann hätte er aber meine Füße oder die von James im Gesicht gehabt.
Wegen der Filmförderung fühlte ich mich wie der King. Ich war völlig überdreht. Ich musste am Abend unbedingt ausgehen. Ich wollte feiern, mich mitteilen und mit meinem Erfolg protzen. Ich nahm Romek mit. James blieb mit Gina zu Hause. Auf dem Weg zum Kiez hatte Romek keinen Bock mehr auf die Verbände an seinen Händen. Ich nahm ihm die Bandagen ab. Er bewegte vorsichtig die Finger. Alles schien okay. Wir kamen beim ›Tempelhof‹ an. Der Türsteher verlangte von uns Eintritt. So ein Quatsch. Ich nahm Romek zur Seite. Ich zahlte doch nie Eintritt. Irgendwie schaffte ich es immer, umsonst reinzukommen. Entweder fälschte ich den Stempel, oder ich tat so, als wäre ich schon zuvor da gewesen. Selbstsicher, aber megakurz hielt ich dem Türsteher üblicherweise meine stempellose Hand hin und marschierte ohne zu zögern rein. Am besten genau dann, wenn es am Eingang gerade ganz voll war. Die Methode klappte optimal. Ich war bisher noch nie zurückgewiesen worden. Manchmal behauptete ich, dass ich auf der Gästeliste stünde. Dabei sprach ich meinen Namen undeutlich aus. Das Türpersonal suchte nach einem annähernd passenden Namen auf dem Gästelistezettel. Währenddessen checkte ich die Liste heimlich ab. Es gelang mir hin und wieder, einen Namen darauf zu entziffern. Dann sprach ich ihn aus und war drin. All diese Tricks funktionierten exzellent, wenn man ohne Begleitung unterwegs war. Heute hatte ich aber Romek dabei. Wir wollten doch zusammen rein, in die rote Discomöse, deren Öffnung pulsierte, deren Loch uns anlockte. Aus ihr wummerten verführerische Bässe. Aus ihr
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