Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hausverbot

Hausverbot

Titel: Hausverbot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mariola Brillowska
Vom Netzwerk:
im Vorlesungsverzeichnis nachzuschauen, wann was wo stattfand. Dann ging man einfach hin und lauschte. Beim zweiten Mal gehörte man bereits dazu. Leider gab es an der Filmówka weder ein Vorlesungsverzeichnis noch Vorlesungen. Im Flur traf ich einen einzigen Studenten. Ich interviewte ihn. Er stammelte völlig desolat vor sich hin, dass im Moment nichts los sei und ich die richtige Zeit abwarten müsse. Ich solle lieber in zwei Wochen wiederkommen, da würde es eventuell irgendwelche Kurse geben. Also tauchte ich zwei Wochen später erneut an der Filmówka auf. Ein anderer einzelner Student sagte mir das Gleiche wie der bei meinem ersten Besuch. Ich vermutete, dass aus politischen und finanziellen Gründen kein Unterricht stattfand. Wahrscheinlich saßen ein paar Professoren im Gefängnis, während alle Kameras der Hochschule im Einsatz waren, um für Krzysztof Kieślowski politische Prozesse zu filmen. Mit dem Kriegszustand war die Solidarność verboten worden. Ihre Mitglieder und Sympathisanten mussten sich vor Gericht wegen Staatsfeindlichkeit verantworten. Besagter Kieślowski zeichnete einige dieser Prozesse auf, die allesamt zum Vorteil der Angeklagten ausgingen. Daraufhin hatte er die geniale Idee, grundsätzlich ein Kamerateam in den Gerichtssälen zu positionieren. Er beantragte sechstausend Stunden an Drehgenehmigungen. Zwar wurden ihm diese bewilligt, allerdings kein Budget für das Filmmaterial. Kieślowski begleitete die Prozesse trotzdem mit Kameras. In seinem Auftrag bedienten Studenten der Filmówka das Hochschulequipment in den Gerichtssälen. Sie wussten nicht, dass sie eigentlich mit Kameraattrappen ohne Filmmaterial drehten. Kieślowskis Idee ging auf. Alle Angeklagten wurden freigesprochen.
    Unser neues Zuhause war einfach der Wahnsinn. Es befand sich in einem alten Kontorhaus, auf der Straßenverlängerung vom Afrikahaus und schräg gegenüber von unserem alten Atelier. Ich hatte mittlerweile den Eindruck, dass wir die letzten Künstler in der Gegend waren. Alle anderen hatten sich verzogen. Ihnen war von der Sprinkenhof AG wegen Abriss der Häuser gekündigt worden. Die meisten landeten auf der Fleetinsel im Westwerk, wo sie aufs Neue um das Bleiberecht kämpfen mussten. Wir kämpften noch hier dagegen. Wir zogen von einem Kontorhaus in das nächste. Zum Abschied streichelte ich den gusseisernen Elefanten und den gusseisernen Krieger im Eingang vom Afrikahaus. Ich trug die Kartons mit meinen Utensilien aus dem braun-weiß gekachelten Elefantentreppenhaus in das andere mit den grün-weißen Kacheln rüber. Diese Kontortreppenhäuser vermittelten einem das erhabene Gefühl der fernen Welt, die früher die Kolonialhändler und heute die Importeure ausbeuteten. Ich dachte über die Ungerechtigkeiten nach, die die Menschen in Arme und Reiche spalteten. Diese Diskrepanz beschäftigte mich schon immer. Von klein auf gab ich mich nicht damit zufrieden, in asoziale Verhältnisse hineingeboren worden zu sein. Solange ich mich erinnern konnte, strebte ich nach einem besseren, geistigeren, sinnvolleren Leben als dem, das jedes meiner Familienmitglieder führte. Außer mir hatte von ihnen niemand Abitur. Sie hausten mit Partnern, die sie nicht liebten. Sie zogen Kinder groß, die sie nicht haben wollten. Sie übten Berufe aus, die ihnen keinen Spaß machten. Sie ertrugen ein politisches System, mit dem sie sich nicht identifizierten. Letzteres betraf sogar die gesamte Bevölkerung, weswegen ich auch meine Heimat verlassen musste. Nun war ich hier in der Fremde gelandet und eckte ununterbrochen an. Jede Absage, jede Kündigung, jeder Misserfolg machte aus mir nach und nach ein Gesellschaftskristall, das sich selbst schliff und sich auf keine Weichspüler einließ. Mein Film über Grabowski sollte davon handeln, wie aus einem Misanthropen die Endstation Mensch wurde.
    Auf einmal präsentierte sich vor mir mein Schicksal so klar, so nackt, so unverblümt: Egal wo ich hinkam, stellte ich mich quer und flog nach einer Weile raus. Wie sollte ich es mir sonst erklären, dass uns im Afrikahaus gekündigt worden war. Die Ereignisse hätten auch einen anderen Verlauf nehmen können: Die Süßdorf hätte mich als Ausstellungsaufsicht weiterhin beschäftigt. Der Makler wäre fair gewesen. James hätte einen Nebenjob ausgeübt. Das Geld hätte gereicht, und wir hätten unser Zuhause weiterhin mieten können. Weil aber meine Kristalloberfläche für die Vorsitzenden, die Chefs, die Makler, die Kapitalisten, die

Weitere Kostenlose Bücher