Hausverbot
dem fristlosen Kündigungsverfahren gegen ihn nicht vertreten. Den hatte James dann dafür auch gleich noch beschimpft– und das war’s. Das Gericht schickte vor einer Woche erneut den Räumungstermin. Immerhin hatte James gestern angefangen, alles zusammenzupacken, und war fast fertig, als ich mit Gina und Romek vom Bahnhof nach Hause kam.
Wir hatten Hunger. James wärmte auf dem Herd seine berüchtigte Speise ›Reis mit Scheiß‹ auf. Gina versuchte, in ihre Schaukel reinzuklettern. Ich quartierte Romek in seinem Zimmer ein, aus dem er bereits am nächsten Tag ausziehen sollte. Weil morgen der Auszug, der Umzug, die Umsiedlung war. Romek wusste von nichts. Er ahnte nicht, was uns bevorstand, was wir zurzeit durchmachten, wie hart das Künstlerleben im Goldenen Westen war. Er hatte nur eins im Kopf. Mercedes. Oder BeEmWe. Wir aßen gemeinsam am Tisch James’ undefinierbaren Brei, der wie immer nicht schmeckte. Romek knallte sich eine halbe Flasche Ketchup drauf. James lobte sich für seine Kochkünste selbst. Ich ließ die Pampe einfach stehen, weil Gina zu Bett gebracht werden musste. Als ich zurückkam, hatte James schon angefangen, Romek die Lage zu erklären. Romek verstand nur Bahnhof. Er konnte kein Deutsch, und James konnte kein Polnisch. Das wesentliche Problem an der Situation war aber wirklich ihre Idiotie. Ich versuchte nicht, Romek irgendwas plausibel zu verkaufen. Ich sagte ihm einfach, wie es war, er werde morgen all die Kartons, die im Atelier rumstanden, zusammen mit James runterschleppen. Romek fragte nach einer Zigarette. James hatte noch welche, aber er wollte die für sich behalten. Er gab Romek vier Mark und den Schlüssel für sein Fahrrad. Ich erklärte Romek den Weg zur Tankstelle. Ich wusste, dass er gerade Lust hatte, kurz alleine die Gegend auszukundschaften. Eine Stunde verging. Romek kam und kam nicht zurück. Ich machte mir natürlich sofort Sorgen. Da klingelte das Telefon. Romek war am Apparat. Er wäre mit dem Fahrrad auf die Fresse gefallen. Jemand hätte den Krankenwagen geholt. Er sei jetzt im Krankenhaus Sankt Georg. Es sei kein besonders großer Unfall, nur die Hände habe man ihm vorsichtshalber verbunden. Außerdem solle ich vorbeikommen, wegen der Krankenversicherung und so. Na, das fing ja gut an. Ich ahnte schon, was alles auf mich zukommen würde. James fluchte. Ich beruhigte ihn, ich würde morgen die Kartons schleppen. Dafür würde Romek auf Gina aufpassen. Den Anschwung beim Schaukeln würde er ihr wohl mit dem Arsch oder so geben können. Letztendlich war aber klar, dass uns das Brüderchen in den nächsten Tagen eher zur Last fallen würde. Mit seinen verbundenen Händen konnte er ohne Hilfe keine Toilette benutzen, sich keine Scheibe Brot schmieren, kein Glas Wasser einschenken. Ich glaubte sogar, dass er unterbewusst mit Absicht den Unfall herbeigesteuert hatte. Er wollte mich wieder als seine Mama haben, mein kleines Söhnchen spielen. Er wurde eifersüchtig auf Gina und hatte es innerhalb von Minuten hingekriegt, sich in ihre vorteilhafte Position zu katapultieren. Er dachte nicht nach. Er grübelte nicht. Da waren wir uns nicht unähnlich. Ich war genauso. Ich lebte nach vorne. Ich steckte nicht ein. Ich holte mir, was ich brauchte. Ich besuchte keinen Psychiater. Ich kriegte keinen Krebs. Ich sah Licht sogar im Dunkeln. Ich hatte Feuer im Arsch. Ich legte mich abends ins Bett und war am nächsten Tag gut drauf. Ich wollte das Beste vom Leben. Ich schaute zur Sonne und zu den Sternen. Ich ging der Scheiße aus dem Weg. Ich hatte die Antennen an.
Der nächste Tag hätte für mich der reinste Horror sein können. Aber er war einfach wunderbar. Weil ein Brief von der Filmförderung kam. Weil ich das verdammte Produktionsbudget kriegte. Fünfundsechzigtausend Mille für meinen ersten Zeichentrickfilm ›Grabowski, Haus des Lebens‹. Na bitte. Mein erster großer Erfolg, meine erste Bestätigung im Leben, dass ich was wert war, das erste Zeichen von Gott, dass ich nicht auf dem falschen Planeten, in der falschen Zeit, unter den falschen Leuten, als die falsche Person lebte. Ich war so stolz auf mich. Ich sprang in die Luft. Ich ging richtig ab. Ich schleppte unsere Kartons runter und rein und war so stark wie Pippi Langstrumpf hoch zehn. Dabei dachte ich die ganze Zeit an Grabowski und wie ich den Film eigentlich machen würde. Ich hatte überhaupt keine Ahnung von der Zeichentrickfilmtechnik. Ich interessierte mich bis dato nicht dafür. Ich fand
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