Hausverbot
regelten wir es, indem jeder von uns für sie abwechselnd je eine Woche zuständig war. Darüber hinaus sollten wir sowieso alsbald geräumt werden. Und von da an wollte ich meinen Weg ohne James gehen.
Irgendwann im Sommer war es endlich so weit. Ich hatte mich nach diesem Tag richtiggehend gesehnt. Der Anwalt hatte uns instruiert. Wir sollten das Räumungskommando ruhig reinlassen. Allerdings musste sich vor Ort ein Untermieter befinden, der mit uns nicht verwandt war. Wir bereiteten alles für den großen Auftritt vor. Gina hatte Ferien und musste nicht zur Schule. Wir hatten sie gebrieft, damit sie nicht in Panik geriet oder etwas Unnötiges daherplapperte. Das Livetheater fand vormittags statt. Den fingierten Untermieter spielte mein Lover Adrian. An der Tür klopfte es. James und ich machten auf. Vor uns standen acht männliche Gestalten. Von links nach rechts registrierte ich der Reihe nach vier Muskelpakete in schwarzen T-Shirts und Lederhandschuhen, zwei Sanitäter in neongrünen Westen, einen uniformierten Stadtteilpolizisten mit Funkgerät sowie den Gerichtsvollzieher Jonny Krautwurst mit einem Diktafon in der Hand. Jonny Krautwurst klang wie ein Künstlername. Er war mir auf dem Schreiben vom Gericht sofort aufgefallen. Ich dachte beinahe, dass sich da einer meiner Freunde einen Witz erlaubt hätte. Wir machten oft solche Scherze untereinander. Wir schickten uns Vorladungen zur Polizei, Arztberichte über absurde Krankheiten, mysteriöse Erbschaftsmitteilungen, kokette Heiratsangebote und hanebüchene Scheidungsurteile. Ich hatte damit angefangen, und dann wurde es zur Mode. Zu Geburtstagen wurde man nicht mit einer spießigen Karte eingeladen, sondern man bekam einen Strafzettel, eine Unterhaltsforderung für ein Kind oder einen Termin zur Zeugenaussage vor Gericht. Wer kein kritisches Denken und keinen Humor hatte, der schwitzte etwas. Aufgeregt rief er dann seine Freunde an, um sich Rat zu holen. Natürlich telefonierten alle untereinander und verschlimmerten alles noch. Hin und wieder gab es auch Partys, zu denen man sich als Polizist verkleiden musste. Wenn dann die Nachbarn wegen zu lauter Musik die Bullen riefen, ging der Spaß richtig los. Meine Aprilscherze bestanden meistens daraus, dass ich Schwangerschaften oder Trennungen verkündete, um irgendjemand zu kompromittieren. James stand auch dem sogenannten ›Verein zum Schutze der Briefmarke‹ vor. Er versendete seine Briefe immer mit derselben Marke. Damit sie von der Post nicht abgestempelt wurde, überklebte er sie mit einer Schutzfolie. Der Empfänger konnte sie für den Antwortbrief erneut benutzen. Einmal wurde James erwischt. Er bekam ein böses Schreiben von der Postdirektion. Er zeigte das Schreiben überall stolz rum. Zusammen mit einem Reportagekonzept schickte ich den Brief von der Postdirektion zum EnDeEr. Vielleicht könnte er einen Job in der Redaktion von ›Extra 3 ‹ kriegen? Die Redaktion fand den ›Verein zum Schutze der Briefmarke‹ großartig. James sollte einen Fernsehbericht darüber drehen. Während der Postproduktion beleidigte er dummerweise die Cutterin vom Sender. Der Auftrag wurde gecancelt. Um sich zu rächen, schickte James der Cutterin ein unfrankiertes Päckchen mit leeren Nussschalen. James liebte es, subversive Päckchen zu versenden. Eine Frau, die James gerne vögeln wollte, bekam von ihm schon mal eine angebrochene Tube Vaginalcreme. Damit wollte James ihr mitteilen, dass ihn ihre Sexualität anzog.
Alleine wegen des Namens des Gerichtsvollziehers hatte es sich gelohnt, diese Räumungssituation zu erleben. Der Protagonist Jonny Krautwurst sah wirklich abgefahren aus. Er trug eine dicke Gurkenglasbrille auf der Nase, einen violetten Pullunder über dem gelben Rollkragenpullover und ein schwules Umhängetäschchen um die Schulter. Ich musste mein Lachen total unterdrücken. Jonny Krautwurst nannte seinen Namen. Um nicht loszuprusten, biss ich mir auf das Innere meiner Wangen. Jonny Krautwurst stellte nun die anderen Herren vor. Danach stellte ich Adrian als meinen Untermieter vor. Der Stadtteilbulle befragte Adrian, Adrian antwortete, und Jonny Krautwurst sprach den Dialog in sein Diktafon nach. Adrian seinerseits zeichnete die gesamte Szene heimlich mit seinem Audiogerät auf. Er wollte daraus irgendwann ein Hörspiel machen. Was die Kunstproduktion anging, hatte Adrian große Ähnlichkeiten mit mir. Genauso wie ich archivierte er ständig irgendwelche Erlebnisse, um daraus mal ein Kunstwerk entstehen
Weitere Kostenlose Bücher