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Hausverbot

Hausverbot

Titel: Hausverbot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mariola Brillowska
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residierte. Zwanzig weitere Polizisten warteten breitbeinig in Bereitschaft. Sieben Peterwagen mit eingeschaltetem Blaulicht, zwei ebenfalls blinkende Feuerwehren, ein Krankenwagen und sogar ein Leichentransporter ergänzten das Szenario. Vier Stellung nehmende, kniende, kriechende, springende und beim Zigarettenrauchen an den Verkehrsschildern lehnende Reporter fotografierten ununterbrochen alles, und zwar mit Blitz. Einen Augenblick dachte ich, dass da unten ein ›Tatort‹ gedreht würde. Ich sah aber nirgendwo die filmtypische Beleuchtung. Außerdem verlief die Handlung zu routiniert, zu perfekt, zu schnell. Da wusste ich, hier wurde nichts gespielt. Dieses Spektakel geschah in echt.
    Ich grübelte, ob man mich mit der Wohnung vielleicht wieder reingelegt hätte. Dass man sie mir nur deswegen so rasch und günstig vermietet hatte, weil sie sich in einer Gegend befand, wo solche Razzien zum Alltag gehörten. Vor ein paar Stunden erst hatte ich mich mit Gina in dieser Bleibe einquartiert. Nach etlichen Turbulenzen waren wir einer Räumungsequipe entkommen und in dem Rotlichtbezirk Sankt Georg am Hamburger Hauptbahnhof gelandet. Die Trennung von James war fast ganz vollzogen. Gina war kein Kleinkind mehr. Mit ihren elf Jahren ging sie inzwischen als Teenager durch. Trotzdem hielt ich sie für zu jung, als dass sie jeden Abend einen ›Tatort‹ live aus dem Fenster verfolgen sollte. Ich brauchte das persönlich auch nicht. Mein Leben war so schon spannend genug. Auf Drama von außen konnte ich gut verzichten. Die Erlebnisse aus der Kindheit waren nicht ohne Spuren an mir vorbeigegangen. Deswegen sollte meine Tochter bloß nicht zu früh mit dem erwachsenen Leben konfrontiert werden. Da klappten die Bereitschaftspolizisten plötzlich alle gleichzeitig die Visiere ihrer Helme runter. Synchron stürmten sie den Keller, als hätte sie jemand choreografiert. Aus dem Treppenhaus hörten wir Laufschritte, Frauengeschrei und Handgemenge. Gina öffnete einen Spalt die Wohnungstür. Wir lauschten kurz, dann standen wir wieder an den Fenstern, damit wir bloß nichts verpassten. Wir sahen, wie die Bullen drei Mädchen in Ginas Alter aus dem ›Rendezvous‹ heraus und jedes von ihnen in einen eigenen Peterwagen führten. Die Mädchen hatten teilweise nur Unterwäsche an. Damit ihre Gesichter unerkannt blieben, trugen sie Kissenbezüge auf den Köpfen. Anschließend wurden aus dem ›Rendezvous‹ noch vier Männer in Unterhemden, Trainingshosen und mit tätowierten Oberarmen rausgezerrt. Auch sie hatten ihre Gesichter mit irgendwelchen Kleidungsstücken vermummt. Sie wurden von den Bullen auch jeder in ein eigenes Polizeiauto navigiert. Die sieben Peterwagen fuhren los. Ich machte das Fenster wieder zu.
    - Gina, du musst morgen zur Schule, hast du Hausaufgaben fertig?
    - Oh Mama, was soll das, es ist erst zehn Uhr.
    - Spät genug. Geh ins Bett, ich brauche jetzt meine Ruhe.
    - Ja, ja, du gehst bestimmt sowieso gleich noch auf die Piste.
    - Ist nicht dein Bier. Ab ins Zimmer.
    Plötzlich kroch Herr Sonder aus seiner Wohnung raus, die sich am Ende von unserem Flur befand. Eigentlich war unsere Wohnung der vordere Teil der Wohnung von Herrn Sonder. Wegen Raumnot nach dem Krieg waren aus dieser großen Wohnung zwei geworden. Der alte Mann hörte fast nichts, trotzdem schien er irgendwas von der Unruhe mitbekommen zu haben. Weil er stark nach Knoblauch roch, verzog sich Gina auf der Stelle, und ich musste mit ihr nicht mehr weiter diskutieren. Ich erklärte Herrn Sonder, was da unten los war, beruhigte ihn und wünschte ihm Gute Nacht , damit er wieder abhaute. Er latschte im Schneckentempo in seine Wohnung zurück.
    Immerhin konnte er noch auf seinen Beinen gehen. Der Mann war schon siebenundneunzig Jahre alt, sorgte aber immer noch ganz allein für sich selbst. Meine Vormieter hatten mir erzählt, dass sich Herr Sonder jeden Tag Schweineöhrchen kaufte. Er kochte sie so lange, bis sich das Fleisch vom Knochen abtrennte. Er aß sein Zeug brav auf, das ihn gesund und munter hielt. Ich fand Herrn Sonder phänomenal. Er ließ sich nicht im Altersheim hospitalisieren. Diese Art Menschen gab es kaum noch. Ich wollte demnächst länger mit ihm reden. Der hatte bestimmt viel zu erzählen. Vielleicht konnte ich daraus ein Hörspiel oder einen Film machen. Im Moment aber war für mich kein guter Zeitpunkt, um mich mit Herrn Sonder zu beschäftigen. Ich hatte einfach zu viel zu erledigen. Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte. Ein

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