Hausverbot
mich.
In dem kleinen Supermarkt gegenüber vom Sender kaufte ich drei Flaschen Wein, Zigaretten und etwas Knabberzeug. Das Konzept von ErElVau bestand darin, dass ich meine Gedichte vortrug, mir Wein in die Kehle schüttete und die Zuhörer dazu animierte, bei mir im Sender anzurufen. Ich machte ErElVau, weil ich mich nach Liebe sehnte. Seit ich mit Adrian ins Bett ging, hatte ich notorisch Liebeskummer. Er war einige Jahre jünger als ich und so unreif, so unnahbar, so untreu. Er war ein Narziss, ein Egoist, ein Wichtigtuer, ein Angeber, ein Dandy, ein Luder, ein Aas. Leider liebte ich den Geruch seiner Haut, die Farbe seiner Augen, die Wirbel seiner Locken, die Spitze seiner Zunge, seiner Nippel, seiner Eichel. Die widersprüchlichen Gefühle für Adrian machten mich fertig. Ich erklärte ihm das in langen Briefen, die er nicht mal aufmachte. Ich litt sehr darunter. Ich schrieb ein Gedicht nach dem anderen und freute mich den ganzen Monat einzig darauf, diese Lyrik in meiner Radiosendung vorzutragen. Pünktlich um dreiundzwanzig Uhr gingen wir auf Sendung.
Adrian ließ den ErElVau-Jingle reinlaufen. Ich öffnete die erste Weinflasche. Ich schenkte mir ein Glas ein. Ich nahm einen kräftigen Schluck. Adrian blendete den Jingle aus. Ich begann mein neuestes Gedicht ins Mikro zu flüstern:
Mein Liebster / Mein Licht / Mein göttliches Mannswesen / Mein Zartbaum / Ach, wie ich dich auch nenne / Glaube mir alles, was ich sage / Sagte und sagen werde / Wenn ich es sage und schreibe / Dir soll es klingen / Laut in den Ohren / Für dich bin ich / Heute ein zu knuspriges Pflänzchen / Morgen werde ich dir die Liebe gestehen / Morgen wird der Tag unserer Hochzeit sein / Danach stürzen die Berge zusammen / Bedrohliche Schneelawinen nehmen / Dich mit sich, den so unerfahrenen Stein / Im Wege meiner Natur aber sei dir sicher / Ich lasse dich nicht erfrieren / Irgendwo zwischen den Ästen / Unter der kalten Decke / Ehe du einen Finger krümmen kannst / Zieht dich mein treuer Bernhardiner / Am Kragen deines karierten Jacketts / Antreten sollst du nun / Nass wie du bist und komisch / Zum Anstoßen auf das Leben / Auf die Zukunft mit mir / Keine Zeit hast du zu entfliehen / Auch wenn es dir danach zumute ist / Du schaust unruhig zur Sonne / Du bleibst bewegungslos hier auf diesem Fels / Siehst du mein blühendweißes Brautkleid / Geladen mit Hagel, gefüllt mit Schokolade / Leicht und schwer, du und ich / Meine Freunde von der Bergstation / Gratulieren und prosten uns zu / Du wirst viele Jahre mit mir leben / Der Angst vor Lawinen entgegen / Während ich dir eine Postkarte / Schreibe vom Mount Everest / Mein Liebster, hebe den Kopf noch einmal hoch / Starre in das brennende Auge / Des Frühlings, deine Braut trinkt nur noch / Tee in den nächsten Monaten / Wird sie dich meiden und vermissen / Sie trägt ein Geheimnis unter ihrer Haut / Die Göttin des Lebens / Wäscht ihre Füße jeden Morgen / In den frischen Quellen der Weichsel / Blickt herunter zu den Dörfern / Dort krabbeln die Menschen umeinander herum / Kleine Familien bilden sich / Deren Söhne Häuser und Bänke bauen / Dort sitzen Hebammen und Denker / Lecker, die Welt von oben, so bunt und nah / Mit meinem überflüssigen Speichel / Spucke ich sie an / Doch sie verzeihen mir / Denn sie kennen jene Capricen des Wetters / Bis bald, mein Liebster / Öffne Tore und Tresore für dein Glück / Es wird zurückkehren zu dir / Wie jedes Jahr / Wie jede Nacht / Meine unberechenbare Liebe beißt / In die elektrischen Zäune / Dein Herz gehört dir nicht mehr / Dein Herz habe ich bereits / An die Wissenschaft verkauft / Egal wie viele Kilometer / Von Stacheldraht du / Um deine Burg spannen willst / Nichts wird es uns nutzen / Und der Schnee wird auch im Frühling / Fallen, wenn es nach mir geht / Seine Flocken leichter als die Luft / Benetzen behände dein erstauntes Gesicht / Ich küsse sie jede einzeln und dich / Dein Ohr, dein Haar / Du meinen Hals / Du meine Lippen / Du mich, du mich, du mich …
Adrian unterlegte meine Stimme mit seiner eigenen Musik. Er schaute mich dabei kein einziges Mal an. Ich war total am Heulen. Über mein Gesicht flossen die Tränen wie am Schnürchen. Ich wischte sie weg, trank den Wein in einem Zug aus, goss mir ein neues Glas voll und trank auch dieses auf ex aus. Ich sah Adrian das Mischpult bedienen. Er hatte wunderschöne Hände. Ich dachte darüber nach, ob er
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