Hausverbot
Problem jagte das nächste. Wenn ich jedes beim Namen nennen wollte, verlor ich beinahe den Überblick. Ich hörte sie alle gleichzeitig an meiner Schädeldecke klopfen. Sie wollten rein, wollten mir meine Zeit, mein Geld, mein Leben stehlen. Ich hielt meinen Kopf fest. Ich hatte Angst, meinen Verstand zu verlieren. Ich versuchte, eine Struktur in den Gedankenstrudel reinzubringen. Von unten kam schon wieder Krach. Was ging da eigentlich noch ab? Ich schaute raus. Unglaublich. So was gab es nur in Deutschland. Im ›Rendezvous‹ wurden gerade neue Fenster und Türen eingebaut. Korrekt. Die Berichte über die große Razzia in Sankt Georg waren längst fertig geschrieben, und die Boulevardzeitungen wurden gerade in dem Moment gedruckt. Die Bürger konnten schon in einer Stunde nachlesen, dass die Hamburger Polizei einen großen Menschenhändlerring mit jugendlichen Zwangsprostituierten aus dem Ostblock gesprengt hatte. In diesem Land passierte alles so schnell. Man brauchte nur mit den Fingern zu schnippen, schon ging die Maschinerie los. Was das Dienstleisten betraf, gehörte Hamburg zu den besten Städten in Deutschland. Ich rief den Arbeitern unten zu: Alle Achtung. Tolle Arbeit, Jungs. Das hätte ich nicht gedacht. Ich gratuliere. Wenn meine Tochter morgen zur Schule geht, ist alles wie nicht gewesen. Sie pfiffen vergnügt wie beim Anblick dicker Titten und werkelten ohne Pause bis zum Morgengrauen. Ihre Tüchtigkeit gab mir Zuversicht.
Ich verschaffte mir gerade einen Überblick über die sogenannte lose Buchhaltung meiner ›Gesellschaft bürgerlichen Rechts‹, die ich von James übernommen hatte. Das Finanzamt hatte bei mir eine Steuerprüfung der letzten vier Jahre angekündigt. Die Quittungen von James befanden sich alle in zugetackerten Plastiktüten, die er immerhin nach Jahren geordnet und beschriftet hatte. Probeweise öffnete ich eine davon, dann eine andere. Ich schlackerte nur so mit den Ohren. Nichts war hier sortiert. James hatte die Quittungen einfach reingestopft, ohne überhaupt was auszurechnen. Laut Aufstellung vom Finanzamt gab er immer Null als Einnahme an. Was natürlich nicht stimmte. Von irgendwas hatten wir doch die ganze Zeit gelebt. Die Kontoauszüge fehlten. Der Idiot hatte sie vernichtet, um die Beweise verschwinden zu lassen. Ich fragte mich, was er sich eigentlich dabei gedacht hatte. Wahrscheinlich hatte er absichtlich diese polnische Wirtschaft geführt, damit keiner da je durchblickte. Ich ahnte, dass ich mich mit dem Chaos von James bestimmt mehrere Wochen quälen würde. Ich hatte keine Ahnung von so was. Die ganzen Jahre hatte es der Punker gemacht. Ich hatte mich auf ihn verlassen, weil er immer rumposaunte, dass er schon mal Wirtschaft studiert hatte. Bedauerlicherweise hatte ich seine Kompetenzen niemals infrage gestellt. Ich hatte ihm einfach blind vertraut. Nun hatte ich den Schlamassel. Selber schuld. Selber dumm.
Bis vor ein paar Wochen wohnten wir noch mit James zusammen. Zwei Jahre war es her, da wurde unser billiges Atelier verkauft, und man hatte uns gekündigt. Wir wehrten uns dagegen und wurden deswegen auf Räumung verklagt. Solange der Richter nicht gesprochen hatte, behielten wir die niedrige Miete. James und ich hatten seit längerer Zeit kein sexuelles Verhältnis mehr. Ich hatte mittlerweile einen anderen Geliebten und manchmal sogar zwei. Entweder James oder ich hätte ausziehen müssen. James zog nicht aus, weil er ohne mich kein Einkommen hatte. Er hatte keine eigenen Projekte, kein eigenes Konto, keine Krankenversicherung. Seine Existenz hing von meiner ab. Ich lebte von der Kunst und übernahm mittlerweile Lehraufträge an verschiedenen Kunsthochschulen. Ich strebte eine reguläre Professur an. Ich nahm an Ausstellungen teil, produzierte Zeichentrickfilme, performte in der literarischen ›Liv Ullmann Show‹ und hatte Radio- und Bühnenauftritte mit der ›Las Vegas Show‹. Ich bewarb mich eifrig für alle möglichen Stipendien, Projekte, Förderungen, auch wenn von denen höchstens nur ein Zehntel klappte. Viel an Kulturgeld kam da nicht rein, und es kostete einiges, das alles zu bewältigen. Trotzdem konnte ich mit dem knappen Kulturgeld meine Kunstproduktion und die Familie finanzieren, ohne einem Lohnjob nachgehen zu müssen. Jedenfalls hatte ich gut zu tun und deswegen keine Zeit, mir ein eigenes Atelier zu suchen. Außerdem war noch Gina da, um die wir uns gemeinsam kümmerten. Daher separierten wir uns innerhalb der Atelierräume. Mit Gina
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